Aus dem Stadtecho

Das Stadt­echo fragt – Schrift­stel­ler Mar­tin Bey­er antwortet

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In jeder Aus­ga­be des Stadt­echos legen wir einer Bam­ber­ger Per­sön­lich­keit einen Fra­ge­bo­gen vor. Für die Juni­aus­ga­be hat Schrift­stel­ler Mar­tin Bey­er die Fra­gen beantwortet.

Wel­che Aus­wir­kun­gen hat die Coro­na-Kri­se auf Ihre Arbeit als Schriftsteller?

Ich ver­su­che, so gut es geht an einem neu­en Roman zu arbei­ten. Das ist mit geschlos­se­ner Kita und durch­grü­bel­ten Näch­ten nicht leich­ter gewor­den, aber viel­leicht ist der Hin­weis wich­tig, dass Künst­ler ja nicht arbeits­los gewor­den sind, sie schrei­ben, malen, kom­po­nie­ren wei­ter. Was fehlt, sind die Auf­tritts­mög­lich­kei­ten, ist die Sicht­bar­keit, und das hat «für uns» wirt­schaft­lich natür­lich dra­ma­ti­sche Aus­wir­kun­gen. Damit umzu­ge­hen, ist nicht leicht.

In wel­chem Zustand befin­det sich die lite­ra­ri­sche Szene?

Das zu über­bli­cken, fällt mir schwer. Die Zeit der geschlos­se­nen Buch­lä­den ist vor­bei, das ist schon ein­mal sehr wich­tig. Und ich mer­ke, wie inten­siv an Ver­an­stal­tungs­for­ma­ten getüf­telt wird, die «coro­na-taug­lich» sind. Ich erle­be die Sze­ne als sehr erfin­de­risch, was man an der raschen Ent­wick­lung digi­ta­ler For­ma­te gemerkt hat. Für uns Schriftsteller*innen wäre es wich­tig, dass neue För­der­kon­zep­te kom­men und die bestehen­den ganz wesent­lich fle­xi­bi­li­siert werden.

Sehen Sie in der Kri­se auch Positives?

Anfangs war es ein sehr gutes Gefühl, Soli­da­ri­tät zu erle­ben und den Zusam­men­halt zu spü­ren. Unse­re Demo­kra­tie ent­schlos­sen und ent­schei­dungs­stark zu erle­ben. Und ich habe mich bei dem Gedan­ken ertappt, dass nach Coro­na tat­säch­lich vie­les anders sein könn­te, dass dann etwa popu­lis­ti­sche Kräf­te erheb­lich an Zulauf ver­lo­ren haben wer­den, denn zer­set­zen­de Kräf­te braucht momen­tan (und in Zukunft) kein Mensch. Aber der inne­re Zyni­ker in mir hat lei­der ange­fan­gen, das als nai­ven Glau­ben zu belä­cheln und ruft mir zu: Siehs­te, das Ego schlägt zurück! Ich hof­fe, er wird nicht Recht behalten.

Was braucht gute Literatur?

Sie darf ger­ne ver-rücken: die eige­ne Wahr­neh­mung, die eige­ne Posi­ti­on, das Ego. Nur beleh­ren soll­te sie dabei nicht.

Wel­ches Buch haben Sie zuletzt nicht zu Ende gelesen?

„S. – Das Schiff des The­seus“ von J. J. Abrams. Aber nicht, weil ich es nicht gut fin­de; es ist groß­ar­tig; es erfor­dert nur mehr Mit­ar­beit als ich wohl gera­de zu leis­ten im Stan­de bin.

Ihr Leben wird ver­filmt. Wel­cher Schau­spie­ler soll­te Sie spielen?

Wenn ich mit einer Zeit­ma­schi­ne arbei­ten dürf­te: Micha­el J. Fox.

Wie vie­le Apps sind auf Ihrem Smart­phone? Wel­che benut­zen Sie am meisten?

Nicht sehr vie­le. Am häu­figs­ten benut­ze ich wohl die Wet­ter­app, die App der Süd­deut­schen Zei­tung, Sport1 und Gia­na Sis­ters, das Com­pu­ter­spiel mei­ner Kindheit.

Wovon waren Sie zuletzt überrascht?

Dass ich tat­säch­lich kör­per­li­che Ent­zugs­er­schei­nun­gen habe, wenn ich für eine Zeit auf Kaf­fee verzichte.

Was ist Ihr größ­ter Wunsch?

Dass mein Sohn unbe­schwert in einem soli­da­ri­schen, demo­kra­ti­schen, plu­ra­lis­ti­schen Land auf­wach­sen kann. Aber sich das zu wün­schen, das ist sicher nicht mehr genug.

Wor­über haben Sie sich zuletzt geärgert?

Ach, über vie­les … aber es ist wie mit dem Wün­schen: Das allein wird nichts dar­an ändern. Am meis­ten ärge­re ich mich also über mich selbst, dass ich nicht noch mehr tue, mich mehr enga­gie­re, kla­re Kan­te zeige.

Haben Sie ein Lieblingsgeräusch?

Ganz ein­deu­tig: Meeresrauschen.

Wel­chen Luxus leis­ten Sie sich?

Viel zu vie­le Bücher. Und gele­gent­lich einen guten Rum.

Wovor haben Sie Angst?

Dass unser offe­nes, demo­kra­ti­sches Gesell­schafts­sys­tem kip­pen wird.

Wann haben Sie zuletzt geflirtet?

Ich hat­te als Schü­ler sehr ungu­te Flirt­erfah­run­gen. Daher habe ich es auf die­sem Gebiet nie weit gebracht, fürch­te ich. Heu­te flir­te ich also eher unbe­wusst, wenn man das über­haupt so nen­nen kann.

Ist in Ihrem Schlaf­zim­mer rau­chen erlaubt?

„Don’t smo­ke in bed!“ (Nina Simo­ne) Das ist schon so man­chem Künst­ler nicht gut bekommen.

Töten Sie Insekten?

Ich ver­su­che meis­tens mei­ne noch nicht paten­tier­te Becher­fang­me­tho­de anzu­wen­den und die Tie­re in Frei­heit zu ent­las­sen. Aber nur meis­tens, muss ich geste­hen. 

Wann und war­um hat­ten Sie zum letz­ten Mal Ärger mit der Polizei?

Als Jugend­li­cher hat­te ich ein­mal Ärger mit einem Laden­de­tek­tiv, das war viel auf­re­gen­der als mei­ne Begeg­nun­gen mit der Polizei.

Wel­che Dro­gen soll­ten Ihrer Mei­nung nach lega­li­siert werden?

Das kann ich nicht beur­tei­len. Mei­ne Dro­gen sind alle legal.

Auf wel­chen Moment Ihrer Lauf­bahn waren Sie am schlech­tes­ten vorbereitet?

Ver­mut­lich auf mei­nen Auf­tritt beim Inge­borg-Bach­mann-Wett­be­werb im ver­gan­ge­nen Jahr. Obwohl ich mich sehr gut vor­be­rei­tet hat­te. Aber dass ich mit mei­nem Text dort eine zum Teil sehr hef­ti­ge mora­li­sche Ableh­nung erfah­ren habe, damit muss­te ich erst ler­nen umzugehen.

Gibt es einen wie­der­keh­ren­den Alb­traum, der von Ihrem Beruf handelt?

Ich träu­me wirk­lich sehr oft davon, dass ich bei einer Lesung vor Publi­kum ste­he und mein Manu­skript ver­ges­sen habe.

Mit wel­cher gro­ßen Schrift­stel­le­rin, wel­chem gro­ßen Schrift­stel­ler kön­nen Sie gar nichts anfangen?

Mit Chris­ta Wolf kann ich nichts mehr anfan­gen, nach­dem ich sowohl mei­ne Diplom- als auch mei­ne Dok­tor­ar­beit über sie geschrie­ben habe. Es war dann ein­fach genug.

Bei wel­chem his­to­ri­schen Ereig­nis wären Sie gern dabei gewesen?

Mir rei­chen die Ereig­nis­se heu­te schon aus.

Was ist Ihre schlech­tes­te Angewohnheit?

Ich esse zu vie­le Süßig­kei­ten. Mei­ne Frau wür­de aber eher sagen, ich sei ein klei­nes biss­chen unordentlich.

Wel­che Feh­ler ent­schul­di­gen Sie am ehesten?

Die meis­ten. Ich bin, den­ke ich, eher nach­sich­tig als nachtragend.

Zah­len Sie ger­ne Rundfunkgebühren?

Ja. Die öffent­lich-recht­li­chen Medi­en müs­sen sich sicher wan­deln, aber sie müs­sen auch ver­tei­digt und bewahrt werden.

Ihre Lieb­lings­tu­gend?

Geduld. Als Schrift­stel­ler brau­che ich viel Geduld …

Ihr Haupt­cha­rak­ter­zug?

Dis­zi­plin.

Was mögen Sie an sich gar nicht?

Dass ich mich mit Süßig­kei­ten beloh­ne und moti­vie­re, dis­zi­pli­niert zu sein.

Haben Sie ein Vorbild?

Um nicht eine Autorin oder einen Autor zu nen­nen: Roger Federer.

Was lesen Sie gerade?

„Herr Rudi“ von Anna Her­zig. Ein tol­ler Roman über einen an Krebs erkrank­ten Gerichtsvollzieher.

Was ist Ihr Lieb­lings­buch, Lieb­lings­al­bum, Lieblingsfilm?

So vie­le vie­le vie­le! Sehr weit oben dabei jeden­falls: „Para­dies ver­lo­ren“ von Cees Noote­boom, „No Ghost­less Place“ von Rai­sed by Swans und „Pater­son“ von Jim Jarmusch.

Wel­che Musik hören Sie nur heimlich?

Mei­ne 80er-Jah­re-All-Time-Favou­ri­tes, das kann mei­ne Frau lei­der nicht ertragen.

Was war Ihre größ­te Modesünde?

Jeans­hemd und Woll­wes­te als Schü­ler, als wirk­lich nie­mand Jeans­hem­den und Woll­wes­ten trug.

Was ist Ihr liebs­tes Smalltalk-Thema?

Fuß­ball.

Was zeigt das letz­te Foto, das Sie mit Ihrem Han­dy auf­ge­nom­men haben?

Die Zahn­lü­cke mei­nes Sohnes.

Wovon haben Sie über­haupt kei­ne Ahnung?

Die Lis­te ist lang. Aber es wur­den ja die­se Online-Lern­kur­se erfun­den, da kann man sich mit den tolls­ten Sachen beschäf­ti­gen, da habe ich jetzt eine Art Flat-Rate…

Was fin­den Sie langweilig?

Über­trie­be­ne Selbstdarstellung.

Sie sind in einer Bar. Wel­ches Lied wür­de Sie dazu brin­gen zu gehen?

Ich bin da recht schmerz­frei, aber bei man­chen muss ich doch die Flucht ergrei­fen, etwa „It’s Rai­ning Men“ von den Wea­ther Girls.

Was ist Ihre Vor­stel­lung von Hölle?

In einer Zel­le zu sit­zen und „It’s Rai­nig Men“ in Dau­er­schlei­fe hören zu müssen.

Wie glau­ben Sie, wür­de Ihr Pen­dant von vor zehn Jah­ren auf Ihr heu­ti­ges Ich reagieren?

„Okay, alter Mann, das zum The­ma, wir wer­den nie in einem Rei­hen­haus wohnen.“

Was war Ihr mie­ses­ter Auftritt?

Ein ech­ter Tief­punkt war ein ver­hin­der­ter Auf­tritt: Ich soll­te ein­mal mit dem Gitar­ris­ten Gerald Kubik eine Mati­nee in einem Café in Leip­zig spie­len, im Rah­men­pro­gramm der Buch­mes­se. Dort wuss­te aber nie­mand von uns, und wir wur­den nicht ein­mal zum Früh­stück dort ein­ge­las­sen. Da ist die Künst­ler­de­pres­si­on programmiert.

Gibt es etwas, das Ihnen das Gefühl gibt, klein zu sein?

Wenn ich am Meer bin. Aber es ist ein wohl­tu­en­des Gefühl.

In wel­chen Club soll­te man unbe­dingt mal gehen?

Da es den Morph-Club nicht mehr gibt, wüss­te ich da kei­nen Rat.

Sind Sie Tän­zer oder Steher?

Ich wer­de vom Ste­her zum Tän­zer, aber nur, wenn ich auf der Tanz­flä­che nicht wei­ter auf­fal­le (min­des­tens 30 ande­re Tänzer*innen, das war frü­her immer die Richtschnur).

Was war die absur­des­te Unwahr­heit, die Sie je über sich gele­sen haben?

Ich hät­te mei­nen neu­en Roman „Und ich war da“ von vorn­her­ein im Hin­blick auf eine Ver­fil­mung geschrieben.

Wel­ches Pro­blem wer­den Sie in die­sem Leben nicht mehr in den Griff bekommen?

Ich wer­de sicher kein ver­sier­ter Hand­wer­ker mehr werden.

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