Rainer Maria Rilkes zehnteiliges Gedichtwerk „Duineser Elegien“ ist in seiner sprachlichen Komplexität und seinen verschlungenen Gedankengängen wie geschaffen für eine Interpretation durch das experimental-musikalische Projekt nonoise. Zusammen mit dem Theater im Gärtnerviertel bringt nonoise-Leiter Jochen Neurath die „Elegien“ im Mai in der Johanniskapelle auf die Bühne. Ab Mai wird er gleichzeitig Vermieter dieses Veranstaltungs-Ortes sein. Wir haben mit Jochen Neurath (hier im Stadtecho-Fragebogen) über das neue Stück und den neuen Kultur-Ort gesprochen.
Herr Neurath, wie kam die Kooperation mit dem Theater im Gärtnerviertel zustande?
Jochen Neurath: Letztes Jahr hatte sich Nina Lorenz, die Leiterin des TiG, die nonoise-Aufführung des Heiner Müller Stücks „Quartett“ angeschaut – eine Inszenierung, in der ich zum ersten Mal ausgiebig mit Sprache gearbeitet habe. Eigentlich bestand die gesamte Inszenierung aus Sprache als musikalischer Ausdruck. Danach kamen Nina und ich ins Gespräch, unter anderem über eine mögliche Zusammenarbeit.
Was prädestiniert nonoise und das Theater im Gärtnerviertel für eine Zusammenarbeit?
Jochen Neurath: Ich finde es interessant, meine Art, sprach-musikalisch zu denken, einem theatral interessierten Publikum wie dem des TiG nahezubringen. Außerdem arbeitet auch das TiG oft mit sehr reduzierten Mitteln, zum Beispiel was Bühnenbild oder Kostüme angeht. Ich denke also, dass das Publikum des Theaters schon gewohnt ist, im bloßen Spiel der Darsteller, ohne viel Show drumherum, viel zu erkennen. Denkt man vom Theater her, geht die Inszenierung der „Elegien“ aber noch ein Stück weiter als die üblichen TiG-Produktionen. Damit können wir von nonoise vielleicht mehr als bisher ein theateraffines Publikum ansprechen.
Warum haben sie dafür die „Duineser Elegien“ von Rainer Maria Rilke ausgewählt?
Jochen Neurath: Als Komponist Lyrik zu vertonen, ist schon immer ein zentrales Thema meiner Arbeit gewesen. Bei der Recherche möglicher Textgrundlagen für eine neue Produktion stieß ich auf die „Duineser Elegien“. Sie waren mir auch darum aufgefallen, weil sie genau vor 100 Jahren erschienen sind. Ihre Entstehungszeit, eine Phase großer Verunsicherung in Europa, hat viel mit unserer jetzigen Zeit zu tun. Rilke schrieb die „Elegien“ während des 1. Weltkrieges. Außerdem ist Rilkes Werk aus dem Grund für mich faszinierend, weil es immer zwei Seiten hat. Einerseits gibt es den etwas betulicheren Rilke, den wir aus dem Schulunterricht kennen, bei dem ich aber oft nicht andocken kann. Andererseits gibt es den späten Rilke, zum Beispiel eben den der „Elegien“, der an der Schwelle zur Moderne steht. In so einer Umbruchsphase steckt für meinen Ansatz künstlerisch viel drin.
Zum Beispiel?
Jochen Neurath: Die Sprache der „Duineser Elegien“ ist eine hochartifizielle: Weiter weg von Alltagssprache kann man kaum sein. Es ist eine gedanklich sehr vertiefte, mit unglaublich verdichteten Bildern wirkende Sprache. Einen solchen Imaginationsraum versuchen auch nonoise-Produktionen immer zu bieten. Er ist ideal dafür, ihn in Ruhe in einer Umgebung wie der Johanniskapelle auf sich wirken zu lassen.
Ihre Heiner Müller-Inszenierung, die auf Instrumente verzichtete und nur die Stimmen des Ensembles als Klangquellen nutzte, war ein Schritt weg von musikalischen Anteilen in nonoise-Inszenierungen. Was für ein Schritt ist die Inszenierung der „Duineser Elegien“?
Jochen Neurath: Ich würde „Quartett“ nicht als einen Schritt weg von musikalischem Denken bezeichnen, denn für mich ist Sprache immer auch Musik – abgesehen natürlich von den Bedeutungen ihrer Worte. Sie ist Klang und Rhythmus, und genauso eine Ansprache ans Publikum wie es Musik und Töne sind. Anders als das genuin theatrale „Quartett“, sind die „Elegien“ aber ganz Gedanken-Lyrik. Ihre Sprache ist aber stark rhetorisch aufgeladen und macht sich hervorragend, wenn man sie zum Klingen bringt.
In der Ankündigung der Aufführung schreiben Sie von neuen Akzente in der Umsetzung. Was heißt das?
Jochen Neurath: Bei „Quartett“ hatten wir noch den Ansatz, die Sprache extrem stilisiert zu verwenden, zum Beispiel durch Passagen, die in derselben gleichbleibenden Tonhöhe oder rhythmisiert vorgetragen wurden. Diesmal werden wir uns ganz den Satzmelodien und dem Sprachrhythmus Rilkes anvertrauen. Dafür gibt es zwei live spielende Instrumente – Stefan Goldbach am Kontrabass und Franz Tröger an der Orgel – die ihrerseits eine andere Klanggrundlage für die Sprache beisteuern.
Aus dem Schauspiel-Ensemble des TiG nimmt allerdings niemand an der Inszenierung teil. Wäre das Engagement dann doch zu theaterfern gewesen?
Jochen Neurath: Das hatte organisatorische Gründe. Wir hatten die Zusammenarbeit erst sehr spät für diese Saison festgelegt und die Darsteller, die in Frage gekommen wären, waren bereits in anderen Produktionen gebunden. Darum habe ich wieder auf das Ensemble zurückgegriffen, das sich weitgehend aus der Heiner Müller-Produktion ergeben hatte. Über Vermittlung des Theaters im Gärtnerviertel sind dann aber doch noch die beiden Musiker Goldbach und Tröger dazugekommen.
Eine deutlich erkennbare Handlung haben die „Duineser Elegien“ jedoch nicht. Wie gehen Sie in der Inszenierung damit um?
Jochen Neurath: Innerhalb der zehn Elegien gibt es schon so etwas wie eine gedankliche Entwicklung, die wir im Wesentlichen auch nachvollziehen werden. Aber es ist eben eine Entwicklung und keine Handlung. Deshalb haben wir die Inszenierung auch als Klangraum angekündigt und nicht als Stück oder Aufführung. Wir möchten das Phänomen Sprache in einer Art Klanginstallation im Raum spürbar machen und so die inneren Anliegen und Nöte der Verunsicherung in Kriegszeiten, die Rilke in diesen Gedichten formulierte, unmittelbar auf das Publikum wirken zu lassen.
Sie sind jetzt auch der neue Vermieter des Spielortes, der Johanniskapelle. Wie kam es?
Jochen Neurath: Ich war dort selbst schon häufiger Mieter, zum Beispiel auch mit nonoise. Als es klar wurde, dass sich der bisherige Vermieter, der Freundeskreis St. Johannis e.V., auflöst, weil der Satzungszweck der Sanierung der Kapelle erfüllt war, kam man mit der Frage auf mich zu, ob ich nicht die Kapelle weiterführen könnte. Am 1. Mai beginnt das Mietverhältnis und ich bin mit nonoise gleich mein eigener erster Mieter. Das ist ein schöner Zufall, aber längerfristig auch eine Herausforderung, die Kapelle als Ort für Kultur viel präsenter zu machen als bisher.
Hat sich entsprechend der wirtschaftlicher Stand von nonoise mittlerweile geändert, zum Beispiel insofern, als dass Sie nun, im Gegensatz zu früheren Inszenierungen, Ihrem Ensemble Gagen zahlen können?
Jochen Neurath: Ja, durch die Zusammenarbeit mit dem TiG und meinem Berganza-Preis im letzten Jahr hat sich die Ausgangslage verbessert und nun kann ich mehr als die bisherigen symbolischen Gagen zahlen. Das bedeutet mir auch sehr viel als Wertschätzung für die Arbeit der Beteiligten.
Wo soll es mit der Kapelle als Veranstaltungsort hingehen?
Jochen Neurath: Wenn ich nicht gerade mit nonoise dort etwas veranstalte, bin ich lediglich Vermieter des Raumes, und somit Ermöglicher. Aber ich möchte schon ein Programm dort hineinbringen, das anspruchsvolle kulturelle Darbietungen beinhaltet.
„Duineser Elegien“
4., 5., 10. und 16 Mai, 19:30 Uhr, 14. Mai, 17 Uhr
Johanniskapelle, Oberer Stephansberg 7