Rainer Maria Rilkes zehnteiliges Gedichtwerk „Duineser Elegien“ ist in seiner sprachlichen Komplexität und seinen verschlungenen Gedankengängen wie geschaffen für eine Interpretation durch
... weiter
„Weiter weg von Alltagssprache kann man kaum sein“
nonoise und TiG zeigen Rilkes „Duineser Elegien“
Rainer Maria Rilkes zehnteiliges Gedichtwerk „Duineser Elegien“ ist in seiner sprachlichen Komplexität und seinen verschlungenen Gedankengängen wie geschaffen für eine Interpretation durch das experimental-musikalische Projekt nonoise. Zusammen mit dem Theater im Gärtnerviertel bringt nonoise-Leiter Jochen Neurath die „Elegien“ im Mai in der Johanniskapelle auf die Bühne. Ab Mai wird er gleichzeitig Vermieter dieses Veranstaltungs-Ortes sein. Wir haben mit Jochen Neurath (hier im Stadtecho-Fragebogen) über das neue Stück und den neuen Kultur-Ort gesprochen.
Herr Neurath, wie kam die Kooperation mit dem Theater im Gärtnerviertel zustande?
Jochen Neurath: Letztes Jahr hatte sich Nina Lorenz, die Leiterin des TiG, die nonoise-Aufführung des Heiner Müller Stücks „Quartett“ angeschaut – eine Inszenierung, in der ich zum ersten Mal ausgiebig mit Sprache gearbeitet habe. Eigentlich bestand die gesamte Inszenierung aus Sprache als musikalischer Ausdruck. Danach kamen Nina und ich ins Gespräch, unter anderem über eine mögliche Zusammenarbeit.
Was prädestiniert nonoise und das Theater im Gärtnerviertel für eine Zusammenarbeit?
Jochen Neurath: Ich finde es interessant, meine Art, sprach-musikalisch zu denken, einem theatral interessierten Publikum wie dem des TiG nahezubringen. Außerdem arbeitet auch das TiG oft mit sehr reduzierten Mitteln, zum Beispiel was Bühnenbild oder Kostüme angeht. Ich denke also, dass das Publikum des Theaters schon gewohnt ist, im bloßen Spiel der Darsteller, ohne viel Show drumherum, viel zu erkennen. Denkt man vom Theater her, geht die Inszenierung der „Elegien“ aber noch ein Stück weiter als die üblichen TiG-Produktionen. Damit können wir von nonoise vielleicht mehr als bisher ein theateraffines Publikum ansprechen.
Warum haben sie dafür die „Duineser Elegien“ von Rainer Maria Rilke ausgewählt?
Jochen Neurath: Als Komponist Lyrik zu vertonen, ist schon immer ein zentrales Thema meiner Arbeit gewesen. Bei der Recherche möglicher Textgrundlagen für eine neue Produktion stieß ich auf die „Duineser Elegien“. Sie waren mir auch darum aufgefallen, weil sie genau vor 100 Jahren erschienen sind. Ihre Entstehungszeit, eine Phase großer Verunsicherung in Europa, hat viel mit unserer jetzigen Zeit zu tun. Rilke schrieb die „Elegien“ während des 1. Weltkrieges. Außerdem ist Rilkes Werk aus dem Grund für mich faszinierend, weil es immer zwei Seiten hat. Einerseits gibt es den etwas betulicheren Rilke, den wir aus dem Schulunterricht kennen, bei dem ich aber oft nicht andocken kann. Andererseits gibt es den späten Rilke, zum Beispiel eben den der „Elegien“, der an der Schwelle zur Moderne steht. In so einer Umbruchsphase steckt für meinen Ansatz künstlerisch viel drin.
Zum Beispiel?
Jochen Neurath: Die Sprache der „Duineser Elegien“ ist eine hochartifizielle: Weiter weg von Alltagssprache kann man kaum sein. Es ist eine gedanklich sehr vertiefte, mit unglaublich verdichteten Bildern wirkende Sprache. Einen solchen Imaginationsraum versuchen auch nonoise-Produktionen immer zu bieten. Er ist ideal dafür, ihn in Ruhe in einer Umgebung wie der Johanniskapelle auf sich wirken zu lassen.
Ihre Heiner Müller-Inszenierung, die auf Instrumente verzichtete und nur die Stimmen des Ensembles als Klangquellen nutzte, war ein Schritt weg von musikalischen Anteilen in nonoise-Inszenierungen. Was für ein Schritt ist die Inszenierung der „Duineser Elegien“?
Jochen Neurath: Ich würde „Quartett“ nicht als einen Schritt weg von musikalischem Denken bezeichnen, denn für mich ist Sprache immer auch Musik – abgesehen natürlich von den Bedeutungen ihrer Worte. Sie ist Klang und Rhythmus, und genauso eine Ansprache ans Publikum wie es Musik und Töne sind. Anders als das genuin theatrale „Quartett“, sind die „Elegien“ aber ganz Gedanken-Lyrik. Ihre Sprache ist aber stark rhetorisch aufgeladen und macht sich hervorragend, wenn man sie zum Klingen bringt.
In der Ankündigung der Aufführung schreiben Sie von neuen Akzente in der Umsetzung. Was heißt das?
Jochen Neurath: Bei „Quartett“ hatten wir noch den Ansatz, die Sprache extrem stilisiert zu verwenden, zum Beispiel durch Passagen, die in derselben gleichbleibenden Tonhöhe oder rhythmisiert vorgetragen wurden. Diesmal werden wir uns ganz den Satzmelodien und dem Sprachrhythmus Rilkes anvertrauen. Dafür gibt es zwei live spielende Instrumente – Stefan Goldbach am Kontrabass und Franz Tröger an der Orgel – die ihrerseits eine andere Klanggrundlage für die Sprache beisteuern.
Aus dem Schauspiel-Ensemble des TiG nimmt allerdings niemand an der Inszenierung teil. Wäre das Engagement dann doch zu theaterfern gewesen?
Jochen Neurath: Das hatte organisatorische Gründe. Wir hatten die Zusammenarbeit erst sehr spät für diese Saison festgelegt und die Darsteller, die in Frage gekommen wären, waren bereits in anderen Produktionen gebunden. Darum habe ich wieder auf das Ensemble zurückgegriffen, das sich weitgehend aus der Heiner Müller-Produktion ergeben hatte. Über Vermittlung des Theaters im Gärtnerviertel sind dann aber doch noch die beiden Musiker Goldbach und Tröger dazugekommen.
Eine deutlich erkennbare Handlung haben die „Duineser Elegien“ jedoch nicht. Wie gehen Sie in der Inszenierung damit um?
Jochen Neurath: Innerhalb der zehn Elegien gibt es schon so etwas wie eine gedankliche Entwicklung, die wir im Wesentlichen auch nachvollziehen werden. Aber es ist eben eine Entwicklung und keine Handlung. Deshalb haben wir die Inszenierung auch als Klangraum angekündigt und nicht als Stück oder Aufführung. Wir möchten das Phänomen Sprache in einer Art Klanginstallation im Raum spürbar machen und so die inneren Anliegen und Nöte der Verunsicherung in Kriegszeiten, die Rilke in diesen Gedichten formulierte, unmittelbar auf das Publikum wirken zu lassen.
Sie sind jetzt auch der neue Vermieter des Spielortes, der Johanniskapelle. Wie kam es?
Jochen Neurath: Ich war dort selbst schon häufiger Mieter, zum Beispiel auch mit nonoise. Als es klar wurde, dass sich der bisherige Vermieter, der Freundeskreis St. Johannis e.V., auflöst, weil der Satzungszweck der Sanierung der Kapelle erfüllt war, kam man mit der Frage auf mich zu, ob ich nicht die Kapelle weiterführen könnte. Am 1. Mai beginnt das Mietverhältnis und ich bin mit nonoise gleich mein eigener erster Mieter. Das ist ein schöner Zufall, aber längerfristig auch eine Herausforderung, die Kapelle als Ort für Kultur viel präsenter zu machen als bisher.
Hat sich entsprechend der wirtschaftlicher Stand von nonoise mittlerweile geändert, zum Beispiel insofern, als dass Sie nun, im Gegensatz zu früheren Inszenierungen, Ihrem Ensemble Gagen zahlen können?
Jochen Neurath: Ja, durch die Zusammenarbeit mit dem TiG und meinem Berganza-Preis im letzten Jahr hat sich die Ausgangslage verbessert und nun kann ich mehr als die bisherigen symbolischen Gagen zahlen. Das bedeutet mir auch sehr viel als Wertschätzung für die Arbeit der Beteiligten.
Wo soll es mit der Kapelle als Veranstaltungsort hingehen?
Jochen Neurath: Wenn ich nicht gerade mit nonoise dort etwas veranstalte, bin ich lediglich Vermieter des Raumes, und somit Ermöglicher. Aber ich möchte schon ein Programm dort hineinbringen, das anspruchsvolle kulturelle Darbietungen beinhaltet.
„Duineser Elegien“
4., 5., 10. und 16 Mai, 19:30 Uhr, 14. Mai, 17 Uhr
Johanniskapelle, Oberer Stephansberg 7
- April 16, 2023
- Autor: Sebastian Quenzer
Das könnte Sie auch interessieren...
Nonoise-Aufführung
„Quartett“ von Heiner Müller
Der Bamberger Komponist Jochen Neurath hat als Grundlage für das neueste Projekt seines Ensembles nonoise ein Theaterstück ausgewählt, dessen reduzierte Machart dem Minimalismus der eigenen Werke in nichts nachsteht. Die konzertante Aufführung des Stücks „Quartett“ des Berliner DDR-Dramatikers Heiner Müller hat am 6. Mai Premiere in der Bamberger Johanniskapelle.
„Quartett“ von Heiner Müller (1929 bis 1995) handelt von den, beziehungsweise behandelt die Themen Lust, Unmoral, Macht und deren Missbrauch. Jochen Neuraths Vertonung des Textes überträgt dessen Dialoge in ein musikalisches Kammerspiel für vier Stimmen. Diese vier Stimmen gehören Danielle Cîmpean und Cornelia Morgenroth, Mitglieder des nonoise-Ensembles, und Eugeniya Ershova und Alexandra Kaganowska vom Bamberger ArtEast-Theater.
Wir haben Jochen Neurath zum Gespräch getroffen.

Herr Neurath, Sie haben die Produktion von „Quartett“ als einen Schritt in künstlerisch für Sie und für Ihr Projekt nonoise neues Gelände angekündigt. Worin besteht das Neue?
Jochen Neurath: Mit der Ästhetik, die ich mit nonoise entwickelt habe, gehe ich bei „Quartett“ zum ersten Mal dezidiert künstlerisch auf einen für die Bühne gedachten Text zu. Dabei mutiere ich aber nicht zum Regisseur, sondern verbleibe trotzdem in meiner Eigenschaft als Komponist. Ein Komponist, der versucht, eine klangliche Umsetzung dieses Textes zu erreichen.
Die Inszenierung wird also keine szenische Aufführung des Stücks sein, sondern ausschließlich eine klangliche?
Jochen Neurath: Heiner Müller hat in diesem Text so gut wie keine Szenenanweisungen genutzt. Auch in seinen eigenen Regiearbeiten hat er das Szenische im Laufe der Zeit mehr und mehr vernachlässigt. Ich habe vor Jahren, eine Aufführung von „Tristan und Isolde“ in Bayreuth gesehen, die er inszeniert hat. Da gab so gut wie keine Bühnenaktion. Das heißt, ihm war die Musik und das erklingende Wort viel wichtiger als mehr oder weniger bedeutende Aktionen auf der Bühne. So geht es auch uns um das dichterische Wort und dessen Erklingen.
Den musikalischen Ausdruck liefert also nur die Sprache oder wird es auch instrumentelle Passagen geben?
Jochen Neurath: Genau. Im Wesentlichen nur die Sprache. Wir hören nur die Stimmen der vier Darstellerinnen. Wenn ich für meine Kompositionen Sprache benutze, ist es für mich immer ein dichterischer Ansatzpunkt, die Sprache – eigentlich schon jenseits der Bedeutung ihrer Worte – als Musik zu empfinden. Ich höre zum Beispiel wahnsinnig gerne Leuten zu, die in mir unbekannten Sprachen reden, und genieße dabei einfach gerne die Melodie und dem Rhythmus ihrer Sätze zu.
Sie sprachen im Vorfeld auch von ungewöhnlichen Konstellation, die „Quartett“ für Sie darstellt. Warum?
Jochen Neurath: Es sind mehrere ungewöhnliche Konstellationen. Einmal die von Heiner Müller und mir. Mit seinem Namen ist einfach ein sehr hoher künstlerischer Anspruch verbunden. Dem versuche ich, zumindest halbwegs, gerecht zu werden. Die andere ungewöhnliche Konstellation besteht darin, dass wir von nonoise mit dem ArtEast-Theater zusammenarbeiten.
Wie kam es zu dieser Kooperation?
Jochen Neurath: Ich bin begeisterter Fan von ArtEast, seit ich vor zwei Jahren die Aufführung „Dostojewski Trip“ gesehen habe. Ich war vollkommen hin und weg, mit welcher Energie und künstlerischem Mut die Gruppe arbeitet. Und auch persönlich hatte ich sofort einen Draht zu den Leuten. Außerdem hatte ich für meinen Mayröcker-Abend, als wir von nonoise Texte von Friederike Mayröcker vertont haben, schon mit dem ArtEast-Mitglied Alexandra Kaganowska zusammenarbeitet. Für „Quartett“ ist zusätzlich noch Eugeniya Ershova dabei. Wir haben jetzt also zwei Leute von ArtEast und mit Danielle Cîmpean und Cornelia Morgenroth zwei Ensemblemitglieder von nonoise. Außerdem dachte ich mir, dass wir durch die Zusammenarbeit nicht nur das nonoise-Publikum, sondern vielleicht auch das Publikum von ArtEast ansprechen können.
Warum haben Sie für das neue nonoise-Projekt „Quartett“ ausgewählt?
Jochen Neurath: Das hat auch mehrere Gründe. Erstmal spricht mich seine unglaublich konzise Dichtung und Sprache an. Dann gibt es einen indirekten persönlichen Bezug. Ich habe lange Jahre in Berlin gewohnt und viele Stücke an Heiner Müllers alter Wirkungsstätte, der Volksbühne, gesehen. Zeitweise hatte ich dort auch selbst zu tun – in einem Stück war ich Bühnenmusiker. Dadurch habe ich viele Leute kennengelernt, die noch mit Heiner Müller zusammengearbeitet haben und ich konnte sozusagen seinen Geist überall spüren. Ich habe mich auch intensiv mit ihm auseinandergesetzt. „Quartett“ ist wiederum eines von Müllers zugänglicheren Stücken. Es ist in seiner Dramatik klar greifbar. Das war mir wichtig, weil wir eben die Dramatik nicht durch Bühnenaktionen unterstützen, sondern das ganz über die Sprache machen. Dann hat Müller für das Stück die überraschende Konstellation gewählt, trotz dem Titel nur zwei Personen auftreten zu lassen. Diese beiden spielen aber tatsächlich insgesamt vier verschiedene Rollen – teilweise auch sich gegenseitig. In diesem Loslösen des Spielers von der spielenden Person, was ja aus der Brecht-Tradition kommt, gehen wir aber noch einen Schritt weiter. Wir verteilen den ganzen Text auf vier Sprecherinnen, die dann in ihren verschiedenen Konstellationen die verschiedenen Figurenkonstellationen nachstellen.
Wäre das im Sinne von Heiner Müller, der ja nur zwei Bühnenpersonen vorgesehen hatte?
Jochen Neurath: Ja, ich denke schon. Er hat selber einmal „Quartett“ inszeniert und darin noch zwei weitere Mitspieler, auch wenn sie keinen Text hatten, auf die Bühne gestellt. Auch sonst war er, wenn er inszenierte und es ihm künstlerisch notwendig schien, sehr frei mit der jeweiligen Vorlage. Was wir machen, ist schon ein Eingriff in das künstlerische Kopnzept von Heiner Müller, keine Frage. Aber er ist mit dem Roman, „Gefährliche Liebschaften“ von Choderlos de Laclos, der die Vorlage für „Quartett“ abgab, auch sehr frei verfahren. Das ist unter anderem daran erkennbar, dass er den Roman überlieferterweise nicht mal ganz gelesen hat. Somit haben wir sein Stück sehr viel gründlicher gelesen als er den Roman las. Davon ausgehend haben wir uns die künstlerischen Freiheit erlaubt, das Personal zu erweitern.
Gilt Ähnliches bei der Frage, wieso Sie ausschließlich Frauen besetzt haben? In der Vorlage kommt mit der Figur Valmot ein Mann vor.
Jochen Neurath: Ja. Ähnlich, wie Heiner Müller die Grenzen der verschiedenen Persönlichkeiten oder Personen auf der Bühne auflöst und sie verschiedene Figuren spielen lässt – so dass wir schon einen relativ kleinen Schritt von der Zweizahl zur Vierzahl hatten – so löst er auch die Grenzen der Geschlechter auf. Während die Figuren im Stück andere Figuren spielen, spielen sie dabei auch durchaus Figuren des anderen Geschlechts. Bei sozusagen klassischeren Inszenierungen des Stücks bietet das immer einen großen Raum für Travestie oder Klischees. Diese Dinge finde ich zwar grundlegend witzig, aber sie sind nicht, was uns hier interessiert. Ich wollte das Geschlechterverhältnis nicht in den Vordergrund stellen, sondern die grundsätzliche Grausamkeit des Menschen dem Menschen gegenüber. Darum habe ich vier Menschen gleichen Geschlechts besetzt, um noch eine größere Verallgemeinerung reinbringen zu können. Dies auch, um, vom musikalischen Standpunkt her, eine gemeinsame Stimmlage haben zu können.
Es geht unter anderem um toxische Beziehungen: Wollten Sie gezielt dieses Stück inszenieren oder haben Sie ein Stück gesucht, mit dem Sie diese Thematik illustrieren können?
Jochen Neurath: Es war tatsächlich erst das Stück selber. Toxische Beziehung ist aber vielleicht etwas zu kurz gegriffen. Es geht allgemein um die Gewalt, die Menschen einander antun – in diesem Fall maskiert als Verführung und scheinbare Zuneigung. Das sehr pessimistische Menschenbild des Stücks, das auch sehr gewaltgrundiert ist, scheint mir auch gut in die heutige Zeit zu passen – auch, wenn ich es schon ausgewählt hatte, bevor der Ukrainekrieg losging. Aber, dass Menschen häufig gerade nicht „edel, gut und hilfreich“, wie es bei Goethe heißt, zueinander sind, ist glaube ich eine Erkenntnis, die man leider schon vorher gewinnen konnte.
Ein Stück ohne Szenen, vertont durch nonoise, ein musikalisches Ensemble, bekannt für seinen klanglichen Minimalismus. Wie genau wird das Publikum hinhören müssen?
Jochen Neurath: Die Mittel sind tatsächlich und bewusst sehr reduziert. Aber das kennt das nonoise-Publikum schon aus früheren Aufführungen, wo wir auch mit sehr geringen Mitteln gearbeitet haben. Diese Mittel versuche ich, immer so konzise und genau einzusetzen, dass sich daraus eine Spannung ergibt, die sich auch ohne viel „Spektakel“ überträgt. Es wird nicht minimalistisch im Sinne von spröde, sondern im Sinne von sehr genau und sehr auf Detail hin gearbeitet. Es wird in dieser Genauigkeit, wenn ich das so sagen darf, einfach geil.
Werden Sie selbst auf der Bühne in Erscheinung treten?
Jochen Neurath: Ich werde in der Aufführungen höchstens die Musikeinspielungen machen, aber ansonsten still in der Ecke sitzen.
Eugeniya Ershova ist neben ihrer Mitgliedschaft bei ArtEast auch Sängerin der Bamberger Punk-Band Sexgewitter. Dort trägt sie, nach eigenen Angaben, „Gschrei“ bei. Ein Indiz für lautstarke Passagen in der Inszenierung?
Jochen Neurath: Bevor ich sie kennengelernt habe, hieß es immer: Das ist die, die in Bamberg am lautesten schreien kann. Das ist für „Quartett“ unbedingt zuträglich! Wir heißen zwar nonoise, aber es kann Momente geben, in denen es laut wird. Wir haben mit Danielle Cîmpean ja auch eine ausgebildete Opernsängerin. Es wird in der Inszenierung also Momente geben, in denen jede Darstellerin ihr jeweiliges Vermögen in extenso einbringen wird. Für den Großteil der Inszenierung versuchen wir aber, alle vier auf ein Level zu bringen. Ich hoffe, dass das Können der einen Darstellerin Dinge bei den anderen freisetzt und wir so ein ziemlich hohes Level erreichen.
Auftrittsort ist wie schon bei „Echoes of unborn thoughts“, dem ersten Stück von nonoise, die Bamberger Johanniskapelle. Damals hatte der Raum der Kapelle eine Rolle in der Inszenierung, indem immer wieder an Wänden oder Gegenstände beispielsweise geklopft oder gekratzt wurde. Werden Sie die Kapelle auch für „Quartett“ miteinbeziehen?
Jochen Neurath: Die Inszenierung wird, wie es bei nonoise immer der Fall ist, auch eine Art Rauminstallation sein. Mit der Johanniskapelle, als ehemals geistlichem Ort, gibt es zudem insofern einen besonderen Bezug zum Stück, als dass zwei der Verführungsopfer, die vorkommen, eine starke Bindung an die Kirche haben, einmal in Form von tatsächlicher Gläubigkeit, einmal durch das Aufwachsen in einem Kloster. Das hat bei dieser Figur allerdings keine tieferen Spuren von Frömmigkeit hinterlassen.
- April 25, 2022
- Autor: Sebastian Quenzer
Das könnte Sie auch interessieren...
“Wir werden massiv Klang in die Kirche setzen”
“inferNO!” von nonoise
Für das neueste Werk seines Ensembles nonoise hat sich Komponist Jochen Neurath der “Göttlichen Komödie” von Dante Alighieri (1265 bis 1321) angenommen. Der Todestag des italienischen Dichters jährt sich 2021 zum 700. Mal. Zusammen mit neun Darstellerinnen und Darstellern und sieben Mitgliedern des Posaunenchors von St. Stephan präsentiert nonoise am 8. und 9. Oktober in St. Otto eine gewohnt ungewöhnliche musikalisch-zeitgenössische Bearbeitung von Dantes Beschreibung der Jenseitsreise durch Hölle, Fegefeuer und Paradies. Wir haben Jochen Neurath interviewt.
Herr Neurath, warum haben Sie für Ihre jüngste Komposition von nonoise “Die Göttliche Komödie” von Dante Alighieri zur Grundlage genommen?
Jochen Neurath: Einmal gibt es einen äußerlichen Anlass, sich dem Werk zu widmen, denn 2021 jährt sich Dantes Todestag zum 700. Mal. Ich finde allerdings, dass dieses Datum – zumindest in Deutschland – öffentlich relativ wenig Widerhall findet. Das macht es für mich aber umso interessanter. “Die göttliche Komödie” ist Dantes Hauptwerk, das Werk, das ihn berühmt gemacht hat und einen sehr frühen Gipfel der europäischen Literatur darstellt. Die Faszination dieses Gedichts liegt nicht nur einfach in seinen Beschreibungen drastischer Höllenstrafen und des Infernos, sondern auch in dem unglaublich strengen formalen Aufbau. Das gesamte Gedicht ist in drei Teile gegliedert – Hölle, Fegefeuer und Paradies –, die wiederum in Gruppen von drei Teilen aufgebaut sind, von denen jeder wiederum 33 Einzelteile, beziehungsweise Einzelgesänge, hat. Ich glaube, ohne diese Gliederung wäre das Gedicht lediglich ein interessanter literarischer Beitrag aus dem späten Mittelalter, den nur die Literaturwissenschaft kennt. Durch diese Struktur und die sehr zentrale Rolle der Zahl 3 wird der Text auch als Grundlage für eine musikalische Komposition von nonoise reizvoll. Für das Stück haben wir den Aufbau in sehr viele Aspekte eingehen lassen. Das Stück besteht auch aus drei Teilen, die sich an der Struktur des Textes orientieren. Die Zahl 3 kommt immer wieder vor: Wir haben neun, also drei mal drei, Darstellerinnen und Darsteller, und bestimmte Dinge passieren genau dreimal.
Wie stellt man die Hölle musikalisch dar?
Jochen Neurath: Der Hölle und dem Fegefeuer habe ich Dissonanzen und 12-Ton-Reihen zugeordnet, dem Paradies Konsonanzen bis hin zum harmonischen Dreiklang. Es geht uns aber eigentlich nicht um die konkrete Darstellung von Hölle oder Paradies. Im Grunde ist es eine musikalische Fantasie und Meditation über die “Göttliche Komödie”. Und hier kommt ein ganz zentraler Punkt zum Tragen: So sehr ich das Stück als Literatur bewundere, so sehr habe ich an einem bestimmten Punkt Schwierigkeiten. Denn Dante maßt sich an, sozusagen an Gottes Stelle, verschiedene Personen der Hölle, dem Fegefeuer und dem Paradies zuzuteilen. Diese Lust am Bestrafen und Verurteilen teile ich nicht. So kommt auch der Titel zustande, bei dem wir das “no” von “Inferno” groß schreiben. Wir nehmen also auch eine kritische Haltung zum Begriff der Sünde ein, die bestraft werden müsste. Aber auch wenn wir in der Hölle Dissonanzen haben und die Darsteller etwas Negatives ausdrücken, ist es eher allgemein menschlich gedacht und nicht in dem Sinne, dass wir die Ewigkeit der Höllenstrafe darstellen. Umgekehrt sind im Paradies sehr positive Zustände dargestellt, aber eben auf rein menschlicher Ebene – nicht im Himmel mit Engeln mit Harfe.
Mit welchen Worten haben Sie zu Beginn der Proben diese, Ihre Absichten mit der “Göttlichen Komödie” Ihrem Ensemble beschrieben?
Jochen Neurath: Tatsächlich haben wir nicht mit dem Inhaltlichen angefangen, sondern mit einer ganz anderen Herausforderung. Es gibt bei nonoise sehr verschiedene Aspekte, von denen wir ausgehen. Das ist einmal die literarische Vorlage, andererseits die Menschen, die mitwirken und drittens der Raum, in diesem Fall die St.-Otto-Kirche, in dem wir spielen. Der Innenraum dieser Kirche ist sehr groß. Die Herausforderung zu Beginn der Proben war: Wie füllen wir diesen Raum? Das war der Ansatz des Stücks. Erstmal mussten wir den Raum erobern. Wie muss sich das Ensemble bewegen, wie das Stück klingen, damit sie in diesem Riesenraum wahrnehmbar sind?
Ist das Stück somit auf die räumlichen Vorrausetzungen der Kirche zugeschnitten?
Jochen Neurath: Ja. Das Stück wäre in seiner jetzigen Form nie entstanden, wenn es nicht in der Otto-Kirche entstanden wäre. Beim Komponieren saß ich sehr oft in der Kirche und habe mir versucht vorzustellen, was ich dort sehen und hören möchte und welche Klänge ich empfinde, wenn ich in der Kirche bin. Viele architektonische Details der Kirche, ihre Größe und Atmosphäre, sind miteinbezogen und fließen ins Stück ein. Ihre Akustik ist sehr speziell. Der Nachhall ist zum Beispiel sehr lang. Für Klänge, die im Raum verschweben sollen, ist das wunderbar, aber für die Sprache – kleine Ausschnitte aus Dantes Text verwenden wir im Stück auch – ist es eine große Herausforderung.
Mit “InferNO!” gehen Sie nach Friedrich Hölderlin und Friederike Mayröcker zum dritten Mal auf das Werk einer Schriftstellerin beziehungsweise eines Schrifstellers ein. Gibt es Dinge, die Sie musikalisch mit den ersten Beiden nicht, aber mit Dante schon ausdrücken können?
Jochen Neurath: Ich denke schon. Zum Beispiel die Größe des Themas hat das Ensemble und mich durchaus zu künstlerischen Äußerungen und Elementen inspiriert, auf die ich vorher wahrscheinlich nicht gekommen wäre. Die Klanglichkeit ist sehr viel größer und massiver. Ich höre einige Leute schon sagen “aber euer Ensemble heißt doch nonoise”, also “kein Geräusch”. Aber wir werden diesmal schon massiv Klang in die Kirche setzen.
Auch wenn Dantes 700. Todestag öffentlich nur wenig begangen wird, scheint “Die göttliche Komödie” die Jahrhunderte überlebt zu haben. Worin besteht die Zeitlosigkeit des Textes?
Jochen Neurath: Ich weiß nicht, ob man wirklich von Zeitlosigkeit sprechen kann. Relativ bald nach ihrem Erscheinen, etwa ab 1400, geriet die “Göttliche Komödie” in Vergessenheit. Erst im Zuge der europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert trat Dante wieder ins Bewusstsein. Aus dieser Zeit datieren auch die ersten Übersetzungen in andere Sprachen. Aber anscheinend hat gerade die verzweifelte und sinnentleerte Lage, die Dante seinen Gestorbenen in der Hölle zumutet, in der Literatur des 20. Jahrhunderts viel Widerhall gefunden. Bei Samuel Beckett zum Beispiel, der in unserer heutigen Existenz eine ähnliche Sinnleere wie in Dantes Hölle vermutet.
In den Texten Becketts werden dem Publikum kaum Möglichkeiten gegeben, Sinn zu finden. Geben Sie dem Publikum Verständnisschlüssel der doch sehr abstrakt anmutenden nonoise-Bearbeitung an die Hand?
Jochen Neurath: Wie gesagt ist “InferNO!” keine Darstellung oder Abbildung bestimmter Szenen der “Göttlichen Komödie”, sondern eine musikalische Meditation darüber. Aber ich denke, wir geben dem Publikum viele Möglichkeiten, Assoziationslinien zu finden und das Bühnengeschehen in ein inneres Bild zu übersetzen.
Hat man mehr von dem Stück, wenn man die “Göttliche Komödie” gelesen hat?
Jochen Neurath: Mit Sicherheit ist das Lesen der “Göttlichen Komödie” generell ein großer Gewinn. Es gibt im Stück vielleicht ein paar einzelne Elemente, die vom Text inspiriert sind, aber das grundlegende Wissen, wie der Text aufgebaut ist und was passiert, ist eigentlich schon ausreichend, um unser Stück genießen zu können.
Was können diejenigen erfahren, die den Text nicht gelesen haben?
Jochen Neurath: Ich denke, die Gesamtatmosphäre eines ernsthaften Auseinandersetzens mit der Endlichkeit und mit den Fragen, was nach dem Tod kommt, ist auf jeden Fall spürbar, auch wenn man den Text nicht gelesen hat. Es geht um existenzielle Fragen.
Wie es der Name schon andeutet, spielt bei der Musik von nonoise auch die Stille eine musikalische Rolle. Welche ist es bei “InferNO!”?
Jochen Neurath: Genau, die Stille ist bei nonoise immer zentral – so auch diesmal. Sie wird manchmal dadurch dargestellt, dass sich die Ensemblemitglieder lautlos im Raum bewegen. Manchmal ist sie auch ganz in ihrem Eigenwert vorhanden und ein Teil des Stücks. Ich sehe die Stille als eine weiße Leinwand, auf die nach und nach die Farben und Formen unseres musikalischen Gemäldes aufgetragen werden.
Welche Rolle werden Sie im Stück einnehmen?
Jochen Neurath: Während der Aufführung keine. Wie bei den vorherigen Stücken, bin ich auch hier nur Zuschauer.
Gibt es in der “Göttlichen Komödie” eine Entsprechung dieser Rolle?
Jochen Neurath: Dante wandert als Erzähler des Textes im Text mit verschiedenen Figuren durchs Jenseits und beschreibt die Reise von außen. Diese Rolle habe ich sozusagen inne.
Sie spielen das Stück zweimal. Warum nur so wenige Termine?
Jochen Neurath: Weil die Otto-Kirche riesig ist. Selbst mit Corona-Abständen haben wir etwa 120 Plätze zur Verfügung. Und außerdem finde ich die Exklusivität, die lediglich zwei Auftritte haben, gar nicht so schlecht.
Je abstrakter ein Werk ist, umso schwieriger kann das Verständnis desselben sein. Spiegelt sich diese Exklusivität in seiner Unergründlichkeit wider?
Jochen Neurath: Nein, ich sehe die Exklusivität der Anzahl der Termine nicht im Sinne eines Ausschließens, sondern eher als etwas Besonderes. Ich achte als Komponist immer darauf, auch wenn ich Elemente der Neuen oder avantgardistischen Musik benutze, dem Publikum klar zu machen, warum es so klingt wie es klingt. Ich versuche immer, das Publikum mit in diese Welt zu nehmen, in der diese Klänge möglich sind. Wenn das Publikum offen ist, das wahrzunehmen, was es wahrnehmen kann, und sich davon an die Hand nehmen lässt, hat es die Chance, das Stück genießen zu können und die innere Welt des Stücks sich entfalten zu sehen.
Ein Werk über eine Reise durch die Hölle bietet zwangsläufig ein gewisses Spektakel. Gilt das auch für “InferNO!”?
Jochen Neurath: nonoise versucht oft, sehr dezent mit seinen Mitteln zu sein. Innerhalb dieses Rahmens kann man schon von einem Spektakel sprechen. Wer allerdings eine Light Show oder Pyrotechnik erwartet, wird enttäuscht werden. Wenn man sich auf die leisen Töne einlässt und ihre Kraft auf sich wirken lassen kann, wird es aber schon spektakulär.
- Oktober 5, 2021
- Autor: Sebastian Quenzer
Das könnte Sie auch interessieren...
VHS-Veranstaltung
Eine klangliche Bühne für Friedrich Hölderlin
Im März wäre Friedrich Hölderlin 250 Jahre alt geworden. Am 9. und 10. Oktober widmet ihm die Bamberger VHS eine Uraufführung des Ensembles nonoise von Jochen Neurath mit dem Titel: Elegie. Oder Ode. (An Friedrich H.). Fazit: Musik für Fortgeschrittene.
Nach über 200 Jahren der Interpretation, Inszenierung und Adaption gibt es, so möchte man meinen, einem Werk wie dem von Lyriker Friedrich Hölderlin nicht mehr allzu viel Neues hinzuzufügen. Komponist Jochen Neurath hat es mit seinem Ensemble nonoise trotzdem versucht. Herausgekommen ist eine hochabstrakte Verschmelzung zeitgenössischer Klanggebilde mit Gedichten Hölderlins. Wir haben mit Jochen Neurath gesprochen.

Herr Neurath, was ist Ihre persönliche Beziehung zu Friedrich Hölderlin?
Jochen Neurath: Der äußere Anlass für die Uraufführung ist sein 250. Geburtstag, der innere besteht darin, dass er mich schon seit Jugendjahren, seitdem ich mich für Musik und Literatur interessiere, begleitet. Außerdem habe ich der Schule ein bisschen Altgriechisch gelernt, aus dessen Dichtung und Mythologie Hölderlin in seinen Gedichten sehr viel schöpft. Er war für mich immer einer der faszinierendsten Dichter überhaupt und in der Epoche, in der er gewirkt hat, war er sehr speziell und seiner Zeit voraus. Seine Gedichte sind dermaßen intensiv und emotional, dass sie mich immer wieder umhauen und auf einer elementaren emotionalen Ebene ansprechen, wie es sonst eigentlich nur Musik tut.
Worin besteht der Ansatzpunkt für musikalische Verwertbarkeit seiner Gedichte?
Jochen Neurath: Friedrich Hölderlin hat eine eminent musikalische Sprache, einen unglaublichen Sinn für Rhythmus und Feinheiten des Sprachklanges. Und all das im Verbund mit einer spannend disparaten Ästhetik in seinen Gedichten. Oft werden in einem Gedicht ganz verschiedene Bilder und Vorstellungen zusammengespannt, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, auf einer höheren Ebene aber auf jeden Fall zusammengehören. Das wirkt für mich eher wie ein Musikstück, in dem ein Thema aufgestellt wird, dann folgt ein kontrastierendes Gegenthema, dann die Zusammenführung. Da sehe ich sehr viele Bezüge zu musikalischen Verläufen.
Um welche Werke Hölderlins wird es konkret gehen?
Jochen Neurath: Im Hintergrund werden viele seiner Werke herumschwirren – oft aber nur angestupst. Es geht nämlich nicht darum, ein musikalisches Seminar zu Hölderlin zu machen, sondern in der Ästhetik, die wir mit nonoise entwickelt haben, dem nachzuhorchen, was Hölderlin in der Ferne für uns ist.
Das heißt?
Jochen Neurath: Die Welt, in der Friedrich Hölderlin vor 250 Jahren geboren wurde, auch die geistige, war eine vollkommen andere. Die Art, wie Sprache in der Lyrik benutzt wurde, hatte einen vollkommen anderen Stellenwert als heute. Das heißt, für mich ist es ein bisschen so, dass Hölderlin heute nur noch aus fernen Echos wahrnehmbar ist. Deshalb wird es nicht einfach dichtgepackt Hölderlin-Text auf Hölderlin-Text geben, sondern viele, eher transparente Klangflächen, in denen ab und zu ein Hölderlin-Text durchscheint. In der Ankündigung haben wir es ein bisschen spaßig mit den Worten zusammengefasst „Hölderlin war nie in Bamberg. Wir horchen den Echos seiner Vorbei-Reisen nach.“ Er war nie hier, ist aber mehrfach vorbeigereist und wir hören vielleicht die Echos des Hufgetrampels seiner Kutschen.
Das klingt alles sehr abstrakt. Wie wird die Zusammenführung von Musik und Literatur genau ablaufen?
Jochen Neurath: Das Allerwichtigste im Ensemble nonoise ist, aufeinander zu hören. Alle produzieren Klänge selber, auf verschiedenen Instrumenten – welche, will ich noch nicht verraten –, sind sich bewusst, was sie machen, und hören aber auch immer darauf, was die anderen an Klängen beisteuern. Es entsteht also ein Klanggewebe, das insgesamt eine Aufmerksamkeit auf Klänge, auf Raum und Echos lenken und das genaue Hinhören etablieren soll. Wenn dann ein paar Worte aus einem Hölderlin-Gedicht dazukommen, haben diese eine ganz andere Möglichkeit auf das Publikum zu wirken, als wenn sich jemand hinstellt und ein Gedicht vorliest. Man könnte sagen, dass wir für Hölderlins Gedichte eine klangliche Bühne bereiten.
Worte und Musik werden also zusammengebracht, ohne dass das eine notwendigerweise aus dem anderen hervorgeht, ohne dass die Musik eine Vertonung der Gedichte ist?
Jochen Neurath: Genau. Mit unseren Klängen tragen wir die Gedichte sozusagen auf den Händen und im Grunde entspringt das Ganze meiner Vorstellung, dass Sprache immer auch einen musikalischen Aspekt hat und ich auch gesprochene Sprache als Musik empfinden kann. Und diese Anschlussfähigkeit zwischen Musik und Sprache ist bei Hölderlin eben besonders ausgeprägt.
Werden Sie dem Publikum diese Ausführungen vor Beginn der Konzerte auch machen? Besteht ansonsten nicht das Risiko, dass das Publikum die genannten Zusammenhänge nicht erkennt?
Jochen Neurath: Es wird zu Beginn ein paar Worte geben, aber nicht so detailliert. Aber darin sehe ich die Herausforderung an mich als Komponist und ich vertraue – ganz unbescheiden gesagt – meinen kompositorischen Erfahrungen soweit, das Stück so zu gestalten, dass ein klarer, nachvollziehbarer formaler Ablauf vorhanden und erkennbar ist, der die Leute mitträgt und ihrem Verständnis Halt gibt. Wir versuchen, eine derart dichte Atmosphäre zu erschaffen, dass die Leute für sich annehmen können, was wir machen.
Geben Sie sich Gedankenspielen hin, wie wohl Friedrich Hölderlin auf Ihre Herangehensweise an seine Werke reagiert hätte?
Jochen Neurath: Das ist sehr schwer – unter anderem eben auch deswegen, weil die Zeiten so grundlegend andere sind. Diese Art der musikalischen Arbeit, wie ich sie mit nonoise versuche, wäre zu Zeiten Hölderlins nicht im Entferntesten denkbar gewesen. Es ist nicht mal bekannt, ob er selbst gerne Musik gehört hat und wenn ja, welche. Aber vielleicht hätte es ihm gefallen, dass sich die Musik, wie in diesem Fall, soweit zurücknimmt, dass sie seine Texte fast wie auf Händen trägt.
Ensemble nonoise
Elegie. Oder Ode. (An Friedrich H.): Zu Friedrich Hölderlins 250. Geburtstag
9. Oktober, 20 Uhr und 10. Oktober, 17 Uhr
VHS Bamberg im Alten E‑Werk
Bitte vorher anmelden unter www.vhs-bamberg.de oder telefonisch 0951 – 871 108.
- Oktober 6, 2020
- Autor: Sebastian Quenzer
Das könnte Sie auch interessieren...
Komponist Jochen Neurath
„Musik ist alles, was die Wahrnehmung anregt“
Jochen Neurath ist Komponist zeitgenössischer Musik. Seine Werke steigern die ohnehin radikalen Merkmale des Genres mitunter ins Extreme. Auch Stille kann ein musikalisches Ausdrucksmittel sein.

Zeitgenössische oder Neue Musik ist eine Strömung der klassischen Musik, die Anfang des 20. Jahrhunderts entstand. Sie zeichnet sich vor allem durch eine Abwendung beziehungsweise Verweigerung von Harmonie, Melodie und dem Einsatz herkömmlicher orchestraler Instrumente aus. Klanglich kommt sie aufs erste Hören oft disharmonisch, sperrig und unzugänglich daher. Diese Entscheidung gegen leichte Verständlichkeit stellt eine Hürde dar, die zwar absichtlich hochgelegt wurde, deren Überwindung aber auch unbekannte Hörerlebnisse bietet. Schon Arnold Schönberg, einer der Begründer der Neuen Musik, sagte: „Wenn es Kunst ist, ist sie nicht für alle, und wenn sie für alle ist, ist sie keine Kunst.“
Ungewöhnliche Klänge
Jochen Neurath beschäftigt sich schon seit Jugendtagen mit der Neuen Musik. Noch keine 20 Jahre alt schrieb er 1985 mittels selbstbeigebrachten kompositorischen Handwerkszeuges seine erste Symphonie. „Symphony of death“ heißt das Jugendwerk. „In der Hybris, die man in diesem Alter nun mal hat, war es ein Versuch, mit den Mitteln der zeitgenössischen Musik – also die, die ich damals kannte – den Prozess des Sterbens zu gestalten und einen Zustand danach zu entwerfen.“
Unabhängig davon, wie um Tiefgang bemüht das Werk geklungen haben mag oder muss – es vereinfachte doch Neuraths Weg in ein Musik- und Kompositionsstudium in Berlin und später Hamburg und noch später in die Selbstständigkeit als Komponist. Heute umfasst sein Werk mehrere Orchester-
stücke, Kammermusik, Vokalkompositionen, Adaptionen literarischer Vorlagen und eine Oper. Ein Karrierehighlight war seine Orchesterfassung der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach, ein Auftrag von Riccardo Chailly, die das Gewandhausorchester Leipzig 2012 uraufführte. Außerdem ist er Gründungsmitglied und 2. Vorsitzender des Vereins „Neue Musik in Bamberg“ und der einen oder dem anderen womöglich durch seine Konzerte auf dem historischen Vorläufer des Klaviers, dem Clavichord, in der Buchhandlung Heilmann bekannt.
Spezialisiert man sich jedoch in einer sowieso schon speziellen Disziplin, lässt sich der Lust nach Tiefgang zwar hemmungslos frönen, mit herbeiströmenden Publikumsmassen sollte man aber nicht rechnen. „Das System der klassischen Musik in seiner derzeitigen Form braucht eigentlich keine Komponisten, weil es sich hauptsächlich auf längst gestorbene Komponisten bezieht. Der Musikbetrieb ist museal, die Klassiker werden ausgestellt. Bei Neuer Musik kommt dazu, dass sie sich ziemlich in eine Sackgasse manövriert hat und in der öffentlichen Wahrnehmung praktisch keine Rolle spielt.“
Das möchte Jochen Neurath ändern. Neue Musik muss öfter gehört werden. Denn durch wiederholte Begegnung können sich Gewöhnung und Verständnis einstellen. „Ich kann Neue Musik genießen, weil ich mich ständig und berufsmäßig mit ihr beschäftige. Trotzdem ist sie auch für mich eine Möglichkeit, neu und genau hinhören zu lernen. Ich war immer an neuen Wegen interessiert, wie sie sonst in der Musik nicht vorkommen und mit denen man das Ohr auf eine bestimmte Weise schärfen kann, sei es durch neue, ungewöhnliche Klänge, sei es durch Reduktion, anhand derer ein einzelner simpler Klang an Bedeutung gewinnt – oder sei es durch Stille.“
nonoise
Wie sich das anhören, beziehungsweise, dass auch etwas dadurch häufiger zu Gehör gebracht werden kann, dass es wenig bis hin zu nichts zu hören gibt, beziehungsweise wie umfassend und rücksichtslos mit anderen Worten Neue Musik musikalische Konventionen abstreifen kann, lässt sich gut an Neuraths jüngster Komposition „nonoise – echoes of unborn thoughts“ verdeutlichen.
Als Einstieg in die Neue Musik taugt es zwar eher nicht – zu extrem ist seine Komposition –, zur Veranschaulichung oder Auslotung der Möglichkeiten der Neuen Musik und der Musik überhaupt könnte es jedoch passender nicht sein.
Bisher einmal in der Johanniskapelle aufgeführt, bewegt sich „nonoise“ zwischen Konzert und Performance, ist eine Komposition anhand zahlreicher außermusikalischer Materialien, die Geräusche, Raum, Körper und stille Passagen in sich vereint. Die 12 Laien-Darsteller/-Musiker bewegen sich im Raum, laufen zwischen den Publikumsreihen hin und her und erzeugen an Wänden, Boden, Einrichtung und ihren Körpern verschiedenste Geräusche. Teilweise, aber keinesfalls melodisch, bedienen sie die Orgel, indem sie mit kleinen eisernen Gewichten eine Taste beschweren, sie so unten- und einen Ton aufrechterhalten. Oder sie lesen kleine Texte vor und quetschen ein Akkordeon. „Mit dieser scheinbaren Zusammenhangslosigkeit möchte ich vermitteln, nicht auf eine mögliche Botschaft in den Klängen, sondern auf die Klänge selber zu hören.“
Schon der Titel deutet darauf hin, was damit gemeint ist. Das Stück liefert ein klangliches Fundament aus Geräuschen, Schritten, Stimmen und einigen Tönen von Instrumenten, auf dem Gedanken, Ideen oder Gefühle in eine bestimmte Richtung angestoßen, aber dann nicht weiterverfolgt werden. Weiterführende Interpretationen oder individuelle, mit den Klängen verbundene Gefühle sollen sich im Denken und Fühlen des Publikums einstellen.
„Das Publikum wird durch verschiedene Gefühlssituationen geführt, die sich aufeinander beziehen, als wenn sie eine Erzählung wären. Wenn man diese Erzählung aber nacherzählen könnte, hätte ich etwas falsch gemacht. Die musikalischen Mittel, die Sinnlichkeit der Musik, sollen für sich sprechen und die Möglichkeit, eine Geschichte mitdenken oder mitempfinden zu können, in ihnen nur mitschwingen.“
Zur Verdeutlichung steht Jochen Neurath während des Interviews auf, geht zu seinem Klavier und schlägt einen Ton an. Nach einigen Momenten ist dieser naturgemäß wieder verklungen. Aber: „Man hat ihn vielleicht noch im Ohr, im Kopf klingt er weiter. Das ist für mich viel wichtiger, als die Tatsache, dass gerade eine Taste gedrückt wurde.“
Die Musik geht weiter, ohne dass etwas zu hören wäre. Folgerichtigkeit ist Gefühlssache. „Die Hörer verstehen nicht warum, aber sie spüren, dass es richtig ist. Wenn sich dieses Gefühl einstellt, ist musikalische Richtigkeit da.“
Es sei allerdings ein gefährliches Feld, weil man banalerweise nie wissen könne, was in den Köpfen vorgeht. Genug Leute gäbe es, die diese Herangehensweise an Musik langweilig fänden. Man müsse schon bereit sein, sich darauf einzulassen, um nicht zu sagen, das als Musik zu akzeptieren. „Die erste Kopfleistung findet schon vor dem Hören statt. Es bedarf einer Vorbildung in Empfindsamkeit und einer Empfänglichkeit für Klänge oder akustische Anregungen.“
Jochen Neurath nennt diese Art der musikalischen Veräußerung „Imaginäre Musik“. „Das, was im Hörer weiterschwingt, ist für mich im Grunde die Musik. Dieses Weiterschwingen, diese Imagination von Musik, finde ich oft viel stärker als das, was tatsächlich erklingt. Ich versuche, die Vorgaben von der Komponistenseite so niedrig wie möglich zu halten, damit das, was im Kopf passiert umso lauter erklingt. Musik ist alles, was die Wahrnehmung anregt.“
Dass dies einen sehr großzügig gefassten Begriff dessen, was Musik sein kann, darstellt, weiß Neurath. Was ihn aber nicht hindert, das, was klingt, noch weiter zu reduzieren. In seinen Werken und in „nonoise“ ganz besonders macht nicht nur der reale oder imaginierte Ton die reale oder imaginierte Musik. Entscheidend beitragen können neben Passagen vorgelesener Texte auch lautlose Sequenzen und Bewegung von Körpern. Wer was wann wo macht. Oder eben nicht. „Bei „nonoise“ können an der einen Seite des Raumes erzeugte Töne für mich etwas vollkommen anderes sein als Töne, die von der anderen Seite kommen.“
Insofern sei sogar ein Musikstück in völliger Stille durchaus vorstellbar. Ein Stück, in dem nur immer mal wieder jemand von A nach B gehe und sich so die Konstellationen im Raum verändern würden. Dies wäre ein Musikstück, das man nicht hören, sondern nur sehen könnte – sehen müsste, um es wahrzunehmen.
Die Frage, ob ein solches Werk noch als Musik durchgehen könnte, ist annähernd so alt wie die Neue Musik selbst. Und seither unbeantwortet. Angestoßen wurde sie bereits in den 50ern vom amerikanischen Komponisten John Cage. Dessen Werk „4‘33“ sah nichts weiter als einen Pianisten vor, der sich an sein Instrument setzt, den Klavierdeckel öffnet, vier Minuten und 33 Sekunden bewegungslos und vor allem still verharrt, um den Deckel dann wieder zu schließen und zu gehen. Cage ließ dabei außerdem offen, ob das Nicht-Erklingen des Klaviers oder zufällige Hintergrundtöne wie Straßengeräusche oder Räuspern die musikalische Substanz ausmachen.
In der Partitur des Werks herrscht entsprechende Leere, was sie der Partitur von „nonoise“ ähnlich macht. Nur, dass sich in zweiterer regieanweisungsartige Vorgaben wie „Zielstrebig zu Zetteln an der Wand gehen“ finden. „nonoise ist aber weder Schauspiel, noch Performance. All das, was man wahrnimmt, hört und sieht, definiere ich im Kontext des Stücks als Musik. Auch wenn es ein stilles Gehen ist oder ein Sprechen von Text oder zwei sich gegenüberstehende Menschen.“
nonoise
Nächstes Konzert: Elegie. Oder Ode. (An Friedrich H.)
(zu Friedrich Hölderlins 250. Geburtstag), in Zusammenarbeit mit der VHS Bamberg Stadt
Voraussichtlich 9. Oktober, 20 Uhr und 10. Oktober, 17 Uhr, Kapelle, Hotel Residenzschloss
Weitere Informationen und Anmeldung zur Mitwirkung bei nonoise unter: www.nonoisemusic.de
- 15. Juni 2020
- Text: Sebastian Quenzer