Ausgangsbeschränkungen und vermehrtes Homeoffice schränken nicht nur den Bewegungsradius, sondern auch die Möglichkeiten der sportlichen Betätigung ein. Das kann negative Auswirkungen auf Körper und Psyche haben. Wie sich dem entgegenwirken lässt, weiß Prof. Dr. Stefan Voll, der Leiter des Universitätssportzentrums und des Transferzentrums für Angewandte Sportwissenschaften der Universität Bamberg.
Herr Professor Voll, vielen Menschen bleibt aufgrund von Ausgangsbeschränkungen und Schließungen derzeit nichts anderes übrig, als die meiste Zeit zuhause zu verbringen und auf körperliche Betätigung mehr oder weniger zu verzichten. Wie kann sich dieser Bewegungsmangel auf die Gesundheit auswirken?
Stefan Voll: Nach wie vor gilt: Wer rastet, der rostet! Die durch die Pandemie deutlich gestiegenen Sitzzeiten führen zunehmend zu degenerativen Veränderungen im Bewegungsapparat, für dessen Funktion gilt: Use it or loose it! Also benutze ihn oder er verliert seine Funktionalität. Auch belegen zunehmend mehr Befunde, dass fehlende Bewegung die physische, psychische und soziale Gesundheit negativ beeinflusst. Im umgekehrten Fall trägt angemessene Bewegung, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, dreimal in der Woche mindestens 30 Minuten moderate körperliche Aktivität, entscheidend zu einer gelingenden Work-Life-Balance bei. Auch begünstigen in den Arbeitsalltag eingebaute Entspannungsübungen die Entschleunigung, Selbstwahrnehmung und Körperachtsamkeit.
Ist es jedoch ratsam, bei Minustemperaturen im Freien Sport zu treiben oder ginge man damit ein Gesundheitsrisiko ein?
Stefan Voll: Bei Temperaturen unter minus 10 Grad häufen sich deutlich negative Folgeerscheinungen wie Reizhusten. Bis zu diesem Zeitpunkt kann der Körper relativ problemlos die eingeatmete Luft vorwärmen, bevor diese die Lungen erreicht. Grundsätzlich ist es besser, bei Minustemperaturen durch die Nase einzuatmen, da auf diesem Weg die Luft angefeuchtet und vorgewärmt wird sowie Schmutz und Bakterien herausgefiltert werden, was die Atemwege und Schleimhäute schont. „Mundatmer“ können ihre Bronchien aber auch durch ein Tuch oder einen leichten Schal schützen.
Falls derartiger Sport ratsam ist, welche sportliche Tätigkeit, auch unabhängig von Pandemiebeschränkungen, würden Sie empfehlen?
Stefan Voll: Vor allem Outdoorsportarten mit moderater Intensität und, bei guter Ausrüstung, mit durchaus ausgedehnter Dauer. Zügiges Wandern oder Schneewandern, gemäßigtes Joggen, Skilanglauf, aber auch Schlittenfahren wären zielführend – und mit einer kleinen Schneeballschlacht macht man auch nichts falsch, da auch eine emotionale Komponente eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Das sind alles Möglichkeiten, das Immunsystem zu stärken. Zudem hilft Tageslicht gegen Stimmungstief gerade in der dunklen Jahreszeit und fördert die Vitamin-D-Produktion.
Welche Möglichkeiten gibt es, zuhause sportlich aktiv zu sein?
Stefan Voll: Wer nicht selbst in der Lage ist, zuhause sein eigenes individuelles Sportszenario zu gestalten, kann an Onlinekursen, die es in stattlicher Zahl im Internet gibt, teilnehmen. Aber auch im Bereich der Alltagsmotorik kann man bewusst zulegen. Heute schon hundert Treppenstufen schnell gegangen? Das wäre eine Bewegungsaufgabe, die problemlos in den Alltag integrierbar ist. Aber auch kleinere Fitnessübungen wie zum Bespiel innerhalb der Familie oder mit Partner tragen auch zur sozialen Gesundheit bei.
Viele Menschen befinden sich zusätzlich im Homeoffice, kommen so auf noch weniger Bewegung, haben aber die Möglichkeit, kurze Pausen einzulegen, die sich mit sportlicher Aktivität füllen ließen. Welche Empfehlungen haben Sie für ein solches Kurz-Programm?
Stefan Voll: Hier gibt es tragfähige Bewegungsprogramme, die im Netz unter den Stichworten Büro- oder Sitzgymnastik zu finden sind. An der Forschungsstelle für angewandte Sportwissenschaften der Uni Bamberg haben wir das Schulkonzept „Voll in Form II“ mit zehnminütigen Bewegungseinheiten entwickelt, welches bereits an den meisten bayerischen Mittelschulen eingesetzt wird. Hier kommen im Klassenzimmer Bewegungsformen mit Alltagmaterialien zum Einsatz, die der existenten Sitzwelt entgegensteuern, der Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses zuträglich sind und den Tagesablauf rhythmisieren. Für die Mitarbeiter und Lehrenden der Universität realisieren wir seit mehreren Jahren das Bewegungsprogramm „Aktive Pause“.
Wie kann sich ein Verzichten-Müssen auf Sport auf die Psyche auswirken?
Stefan Voll: Man weiß ja mittlerweile, dass regelmäßige Bewegung die psychische Stabilität positiv beeinflusst. Zudem hat sportliche Aktivität kompensatorische, aber auch kathartische, also reinigende Wirkung. Der Rucksack mit persönlichen Sorgen und Nöten ist nach einem Lauf in der freien Natur nur noch halb so schwer. Zudem berichtet bereits der altrömische Dichter Juvenal mit seinem „mens sana in corpore sano“, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper, vom Dualismus und der Wechselwirkung von Körper und Geist. Sind adäquate motorische Aktivitäten nicht möglich, hat dies fast zwangsläufig negative Auswirkungen auf die mentale Verfasstheit. In vielen psychosomatischen Therapien hat deshalb auch körperliche Aktivität ihren festen Platz, denn Bewegung ist die bessere Pille!
Wie sieht das derzeitige sportliche Angebot des Bamberger Universitätssportzentrums aus?
Stefan Voll: Freilich sind auch wir von den Corona-Einschränkungen betroffen. Die Sportstudenten sind nur sehr sporadisch mit Abstand und Maske und mit Beachtung der vorgegebenen Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen in den praktisch-didaktischen Lehrveranstaltungen zu Gange. Im allgemeinen Hochschulsport sind derzeit von den üblicherweise über 160 Kursen nur wenige Onlineprogramme möglich. Aus studentischer Sicht überaus bedauerlich, weil auch sie spüren: Sport tut den Menschen gut! Und: Sich regen bringt Segen!