Alljährlich veranstaltet das Steigerwald-Zentrum, nahe Schweinfurt gelegen, den Waldtag. Durch kindgerechte Aktionen, Darbietungen und Ausstellungen bringt das Team aus Trägerverein und Forstverwaltung seinem Publikum an diesem Tag gemeinsam den Steigerwald, seine tierischen und pflanzlichen Bewohner, und auch den vielfältigen Werkstoff Holz näher. 2022 steht thematisch die oft verborgene Welt der Insekten im Vordergrund. Eine Welt, die bedroht ist.
„Kleine Wesen ganz groß“ lautet das Motto, wenn das Steigerwaldzentrum am 15. Mai um 11 Uhr dem Publikum seine Tore zum Waldtag öffnet. Gemeint sind damit zum einen Insekten und zum anderen Bodenlebewesen, also Tiere, die im Boden leben, wie Milben, Asseln oder Regenwürmer.
Als Buchenwaldgebiet beherbergt der Steigerwald viele Insekten, die an die Buche als Nahrungsquelle oder Lebensstätte angepasst sind. Eine besondere Art, mit der der Steigerwald aufwarten kann, ist der Schwarzkäfer. Diese Käferart lebt vom Zunderschwamm, einem Pilz, der absterbende Buchen besiedelt.
Für nicht wenige Menschen sind Insekten allerdings eher unangenehme Vertreter des Tierreichs, aber „die meisten haben sich nur noch nicht getraut, näher hinzusehen, um die eigentümliche Schönheit der Insekten zu entdecken. Viele Menschen wissen auch nicht, wie bedeutend sie sind“, sagt Sarah Kolmeder, Försterin und Waldpädagogin im Steigerwald-Zentrum. „So erklärt sich auch das Motto näher. Insekten mögen sehr klein sein, ihre Wichtigkeit für uns und auch für den Wald ist aber enorm.“ Das zu veranschaulichen und spielerisch Begeisterung für diese Tiere zu wecken, ist das Ziel des Waldtags 2022. Genau wie Schutzmaßnahmen aufzuzeigen, die jeder ergreifen kann.
„Das ganze Ökosystem würde instabiler werden“
Diese Wichtigkeit hat mehrere Aspekte. Insekten und Bodenlebewesen sorgen sozusagen für das Recycling im Wald. Stirbt ein Baum oder ein Tier, zersetzen oder vertilgen sie, zusammen mit Pilzen oder Mikroorganismen wie Bakterien, die abgestorbene Materie. Ohne diesen Einsatz würde sich tote Substanz meterhoch im Wald aufschichten.
„Das ist außerdem der erste Schritt in der Nahrungskette“, sagt Sarah Kolmeder, „um Nährstoffe für die ersten Folgekonsumenten, zum Beispiel hungrige Pflanzen, verfügbar zu machen. Außerdem sind Bodentiere und Insekten selbst die Nahrung für andere Lebewesen. Insekten spielen darüber hinaus eine sehr große Rolle für die Bestäubung von Pflanzen.“
Und damit auch für den Menschen. Von 109 der verbreitetsten Kulturpflanzen sind 87 auf die Bestäubung durch Insekten wie Bienen oder Schmetterlinge angewiesen. Hinzu kommt, dass manche Pflanzen derart spezialisiert sind, dass sie nur von einer einzigen Insektenart bestäubt werden können. Das heißt, je weniger Insektenvielfalt, desto weniger Pflanzenvielfalt. Und anders herum.
Ein Rückgang der Insektenpopulation könnte entsprechend gravierende Konsequenzen für das Ökosystem Wald und auch für die Ernährung der Menschheit haben. „Pflanzenvielfalt in unserem Speiseplan ist die Grundlage für ein gesundes Leben. Die Böden, auch im Wald, könnten außerdem Tieren und Pflanzen nicht mehr im nötigen Umfang Nährstoffe liefern, weil die Zersetzung nicht mehr richtig funktionieren würde. Das ganze Ökosystem würde instabil werden. Darüber hinaus gehen Populationen von Folgekonsumenten zurück – bei beispielsweise Vögelbeständen merken wir das schon. Eine deutsche Studie, die es sogar in die New York Times geschafft hat, konnte den dramatischen Rückgang der Insekten schon belegen: Die Biomasse flugaktiver Insekten hat deutschlandweit in den letzten 27 Jahren um mehr als 75 Prozent abgenommen.“
Die Hauptursache dafür sei der Verlust von Lebensraum. „Die prägendste Landnutzungsform in Deutschland ist die Landwirtschaft. Sie hat mehr als die Hälfte der Fläche des Landes inne. Größtenteils wird sie mit Monokulturen betrieben, stark gedüngt und mit Pestiziden besprüht. Das sind Dinge, die Insekten krank machen – und übrigens auch Menschen. Der Zusammenhang zwischen Pestiziden und verschiedenen Krebsarten ist bereits erforscht. Nach der Landwirtschaft kommt flächenmäßig der Wald mit rund 30 Prozent. Auch wir Förster*innen müssen also Verantwortung für den Insektenschutz übernehmen und ihnen durch Blühstreifen, natürliche Waldränder, Alt- und Totholz Lebensraum schaffen. Knapp 15 Prozent der Landnutzung machen Siedlungen aus – auch jeder naturnahe Garten ist also ist ein Schatz.“
Baumsterben im Steigerwald
Der Klimawandel tut sein Übriges. Grundsätzlich sind Insekten sehr wärmeliebend, manche Arten profitieren insofern von höheren Temperaturen. Hierzulande aber leider oft die falschen. „Borkenkäfer oder Schwammspinner, welche die Nährstoffleitbahnen unter der Fichtenrinde beziehungsweise Eichenblätter fressen, sind Beispiele solcher Arten. Sie können sich bei steigenden Durchschnittstemperaturen öfter massenhaft vermehren und Bäume zum Absterben bringen. Andere Insekten sind durch den Klimawandel aber in ihrer Entwicklung gestört. Es gibt Schmetterlinge, die im Herbst im Puppenstadium in den Boden eingegraben überwintern und im Frühling schlüpfen. Damit ihre Metamorphose hin zum Schlüpfen aber richtig ablaufen kann, brauchen sie Frosttemperaturen. Ist es zu warm, bleiben die Fröste aus und die Schmetterlinge sterben durch die unvollständige Entwicklung.“
Der Steigerwald hat seit Jahren mit diesen Entwicklungen, vor allem mit dem Baumsterben zu kämpfen. Klimatisch in einer ohnehin wärmeren und niederschlagsarmen Gegend gelegen, verschärft sich seine Situation durch den Klimawandel noch. „Nadelbaumbestände sind dadurch stark zurückgedrängt worden“, sagt Sarah Kolmeder. „Da sie hier nicht standortheimisch und eigentlich an kältere, feuchtere Klimate angepasst sind, weichen sie als erste. Doch sogar viele Buchen, die sich hier in ihrer Heimat befinden, sterben zunehmend durch Trockenheit ab.“
Noch kann dem aber gegengesteuert werden. Von Regierungen und jeder und jedem Einzelnen. „Es ist dringend notwendig, ein menschen- und insektenfreundliches Klima zu erhalten. In Bezug auf das Insektensterben ist es außerdem elementar wichtig, dass wieder Lebensraum für sie geschaffen wird. Durch den Konsum von Bio-Produkten können wir die ökologische Landwirtschaft fördern, die auf Pestizide verzichtet. Im eigenen Garten kann man Insekten kleine Inseln schaffen, indem man zum Beispiel heimische Nahrungspflanzen, wie Kräuter oder Obstbäume, für sie pflanzt. Eine Wiese einfach wachsen lassen, sie lediglich zweimal im Jahr mähen, im Juni und August, und das Mähgut entfernen, geht auch. Auch über Totholz und Sandhäufchen freuen sich viele Insekten. Außerdem kann man Artenschutzvereine unterstützen.“
Die singende Försterin
Der Waldtag am 15. Mai hat also durchaus seine Hintergedanken. Im Vordergrund soll jedoch stehen, die verborgene Welt der Insekten zu erkunden. Je nach Wetterlage stellt sich das Steigerwald-Zentrum auf bis zu 2.000 Besucherinnen und Besucher ein.
„Es gibt für alle etwas, um Faszination an Insekten zu entdecken! Wir werden eine Theateraufführung zum Thema „Regenwurm“ und zu den „wilden Bienen“ haben – richtig cool“, sagt Sarah Kolmeder. „Außerdem gibt es Bastelstände, Kinderschminken, Baumklettern, einen Stand zur Insektenforschung, eine Kettensägenkünstlerin, einen Fachvortrag über Honigbienen und natürlich Speis und Trank.“
In den Räumlichkeiten des Zentrums selbst kann das Publikum eine zweiteilige Ausstellung besuchen. Thema: „Funkeln im Dunkeln“. Es geht um Bodentiere und Nachtfalter und ihre finstere, geheimnisvolle Welt. In zwei Dunkelzelten – „ein bisschen geisterbahnmäßig“ – zeigt das Steigerwaldzentrum überlebensgroße, mindestens zehnfach vergrößerte Pappmaché-Insektenmodelle und vermittelt Informationen dazu. Der zweite Teil beleuchtet die Rolle der Waldameisen mit ihren Wechselbeziehungen zu unzähligen Tier- und Pflanzenarten und ihrem fein gesponnenen Netz von Abhängigkeiten in ihrem Lebensraum.
Sarah Kolmeder kann in Sachen Informationsübermittlung unterdessen einen ganz eigenen Ansatz beitragen. Sie ist bekannt als die singende Försterin. „In meiner Freizeit mache ich Musik, die ich manchmal mit meinen waldpädagogischen Führungen verbinde. Dann habe ich meine Ukulele dabei und singe Schulklassen selbstgeschriebene Lieder über Wald und Natur vor. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass auf diesem Wege mehr hängen bleibt. Vielleicht werde ich auch auf dem Waldtag spielen.“