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Waldtag

Stei­ger­wald-Zen­trum

Wald­tag 2024: Auf­takt des Veranstaltungs-Sommers

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Der Wald­tag 2024 im Stei­ger­wald-Zen­trum stand unter dem Mot­to „Der Wald und wir“. Einen Tag lang konn­te sich das Publi­kum über die gesell­schaft­li­che Bedeu­tung des Wal­des informieren.

Trotz wid­ri­gem Wet­ter haben mehr als 2.500 Besucher:innen am Wald­tag 2024 im Stei­ger­wald-Zen­trum teil­ge­nom­men, wie die Ein­rich­tung mit­teil­te. Die all­jähr­li­che Ver­an­stal­tung am ers­ten Mai-Sonn­tag mar­kiert den Beginn der Som­mer­sai­son im Wald­er­leb­nis- und Wald­in­for­ma­ti­ons­zen­trum in Handthal.

Das dies­jäh­ri­ge Mot­to „Der Wald und wir“ bot eine brei­te Palet­te an The­men, bei denen sich das Publi­kum über das Leben im und mit dem Wald infor­mie­ren konn­te. 25 Sta­tio­nen hat­ten die Ver­an­stal­ter im Vor­feld gestaltet.

So ging es etwa mit einem Jäger auf eine spie­le­ri­sche Pirsch mit Tier­su­che im Wald, eine Kräu­ter­frau stell­te Ess­ba­res wie Wald­meis­ter, Bär­lauch­blü­ten-Pfef­fer und fri­sches Fich­ten­grün aus dem Wald vor und die „Akti­on Grund­was­ser­schutz“ mach­te dar­auf auf­merk­sam, wel­che gesell­schaft­li­che Bedeu­tung der Wald als Was­ser­spei­cher hat. Dass der Wald gleich­sam Arbeits- und Erho­lungs­ort sein kann, konn­te das Publi­kum zusätz­lich an Stän­den von Förs­te­rin­nen und Forst­wir­ten, in einem Ern­te-Simu­la­tor und beim QiGong im Wald erfahren.

„Es war ein durch und durch gelun­ge­ner Wald­tag, und wir waren vom Besu­cher­an­sturm wirk­lich posi­tiv über­rascht,“ sag­te Lou­is Kalik­stein (hier im Stadt­echo-Inter­view), forst­li­cher Lei­ter im Stei­ger­wald-Zen­trum am Ende des Wald­ta­ges. Mit Aktio­nen wie Mär­chen im Wald, Baum­klet­tern, Holz­bas­te­lei­en, Bogen­schie­ßen oder Stock­brot backen habe man außer­dem bewie­sen, dass Umwelt­bil­dung nicht unbe­dingt tro­cke­ne Theo­rie sein muss.

Stei­ger­wald-Zen­trum

Wald­tag 2024: Der Wald und wir

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All­jähr­lich lädt das Stei­ger­wald-Zen­trum in Hand­thal zum Wald­tag, um dem Publi­kum „die Pfor­te zum Wald auf­schlie­ßen“, wie Lou­is Kalik­stein, Forst­li­cher Lei­ter des Zen­trums, sagt. Unter dem Mot­to „Der Wald und wir“ soll den Besucher:innen am 5. Mai durch Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen, Mit­mach-Aktio­nen wie Baum­klet­tern oder das immer belieb­te­re Wald­ba­den, der Wald, sein Zustand und sei­ne gesell­schaft­li­che Bedeu­tung näher­ge­bracht wer­den. Wir haben mit Lou­is Kalik­stein über den Tag gesprochen.
Herr Kalik­stein, wäre in einer idea­len Welt nicht jeden Tag Waldtag?

Lou­is Kalik­stein: Es ist im Grun­de genom­men jeden Tag Wald­tag. Es gibt in Deutsch­land das soge­nann­te freie Betre­tungs­recht, das heißt, jeder darf jeder­zeit in den Wald hin­ein­ge­hen. Auch haben wir eigent­lich sehr vie­le Wald­ta­ge im Stei­ger­wald-Zen­trum, weil wir regel­mä­ßig Schul­klas­sen oder ande­re Grup­pen durch den Wald füh­ren und an den Wochen­en­den vie­le Ver­an­stal­tun­gen auch im Wald anbie­ten. Das könn­te man als klei­ne Wald­ta­ge bezeich­nen, bloß unser gro­ßer Wald­tag fin­det tat­säch­lich nur ein­mal im Jahr statt.

Was hat es mit dem dies­jäh­ri­gen Mot­to „Der Wald und wir“ auf sich?

Lou­is Kalik­stein: Wir über­le­gen uns jedes Jahr ein ande­res Mot­to, weil wir den Wald, der wahn­sin­nig facet­ten­reich ist, immer von einem ande­ren Blick­win­kel aus betrach­ten wol­len. Die­ses Jahr wur­de es „Der Wald und wir“, weil wir damit die Bezie­hung von Mensch und Wald genau­er beleuch­ten wol­len. Man spricht ja immer davon, dass die Deut­schen so eine Wald­na­ti­on sei­en mit einem beson­de­ren Ver­hält­nis zum Wald.

Es gibt Län­der, wie zum Bei­spiel Island, die über­haupt kei­nen Wald haben. Deutsch­land hat hin­ge­gen rela­tiv viel davon. Wie kann sich so eine Land­schaft in einer Men­ta­li­tät niederschlagen?

Lou­is Kalik­stein: Sehr stark. Geht man in der Geschich­te zurück, sieht man, dass die Men­schen in Mit­tel­eu­ro­pa immer schon von und mit dem Wald leb­ten, in einer sehr engen und abhän­gi­gen Bezie­hung. Das Vieh wur­de zum Wei­den in den Wald getrie­ben, man hat Eichen­rin­de zum Ger­ben ver­wen­det, es wur­den Pflan­zen, Bee­ren, Pil­ze und Kräu­ter gesam­melt und man hat natür­lich Holz in rau­hen Men­gen benö­tigt. Der Ötzi ist ein gutes Bei­spiel dafür, wie gut sich die Men­schen mit dem Natur­stoff Holz aus­kann­ten. Er hat­te in sei­nem Werk­zeug und sei­ner Aus­rüs­tung 17 ver­schie­de­ne Holz­ar­ten bei sich, wie Unter­su­chun­gen erga­ben. Der Griff sei­nes Mes­sers war aus Eschen­holz, sein Tra­ge­ge­stell aus Hasel­nuss, sein Bogen aus Eibe und die Pfei­le aus Schnee­ball, einem Strauch­ge­wächs. Bereits vor gut 5000 Jah­ren, etwa die Zeit als Ötzi leb­te, kann­ten die Men­schen den Wald also sehr gut und wuss­ten ziem­lich genau, wel­ches Holz sie wofür ver­wen­den konn­ten. Die­se Ver­bin­dung zum Wald hat sich natür­lich auch in der Kul­tur nie­der­ge­schla­gen, zum Bei­spiel sind vie­le Rede­wen­dun­gen heu­te Zeug­nis davon, wie „den Wald vor lau­ter Bäu­men nicht sehen“, „sich wie die Axt im Wald beneh­men“ oder „ich glaub, ich steh‘ im Wald“.

Lässt sich sagen, wie es im Stei­ger­wald vor 5000 Jah­ren zuging?

Lou­is Kalik­stein: Was man sicher weiß ist, dass es deut­lich mehr Wald gab und dass der Wald haupt­säch­lich ein Buchen­wald war – genau wie heu­te. Die Men­schen waren zunächst noch nicht sess­haft, sie zogen als Jäger mit Hüt­ten und Zel­ten umher. Bevor­zugt haben sie ihre Quar­tie­re an Was­ser­läu­fen errich­tet, was Fund­stel­len ent­lang der Ebrach bele­gen. Dort hat man man zum Bei­spiel Stein­klin­gen und Boh­rer gefun­den. Mit dem Über­gang zum, Neo­li­thi­kum, also zur Jung­stein­zeit vor etwa 5000 Jah­ren, wur­den die Men­schen dann mehr und mehr zu sess­haf­ten oder zu teil­wei­se sess­haf­ten Acker­bau­ern und Vieh­züch­tern. Auch dies ist durch Kera­mik­fun­de im Stei­ger­wald belegt.

Wie steht es um den gesell­schaft­li­chen Bezug zum Wald heu­te? Ist man sich sei­ner Wich­tig­keit als Roh­stoff- oder Nah­rungs­lie­fe­rant bewusst oder nimmt man ihn zur Kennt­nis und nichts weiter?

Lou­is Kalik­stein: Ich glau­be, bei­des. Frü­her war der Wald natür­lich viel stär­ker im Fokus, was sei­ne Nut­zung anging. In den Jahr­tau­sen­den bevor es Plas­tik gab war Holz der Roh­stoff schlecht­hin: zum Hei­zen, Bau­en, für Werk­zeu­ge, Kar­ren, Waf­fen oder Schif­fe. Das hat sich erst in der Zeit geän­dert, als Metal­le und dann spä­ter Plas­tik auf­ka­men und das Holz immer wei­ter ablös­ten. Ent­spre­chend hat sich auch das Bild, das eine Gesell­schaft vom Wald hat, gewan­delt. Heu­te spielt er, neben durch­aus auch wei­ter­hin bestehen­den wirt­schaft­li­chen Aspek­ten, zum Bei­spiel eine wich­ti­ge tou­ris­ti­sche Rol­le. Die Leu­te gegen in ihm spa­zie­ren, wan­dern, Fahr­rad­fah­ren oder Geo­cachen. Das ist eine Art Schnit­zel­jagd anhand von GPS-Daten.

Im Stei­ger­wald und am Wald­tag kann man zudem Wald­ba­den, also im Wald Ent­span­nungs­übun­gen machen, bei denen man ver­sucht, die Natur bewusst und mit allen Sin­nen zu erle­ben. Wel­che Rück­mel­dun­gen bekom­men Sie dabei?

Lou­is Kalik­stein: Das Wald­ba­den stammt tra­di­tio­nell aus Japan und schwappt immer mehr nach Euro­pa über. Die Leu­te füh­len sich dabei ent­spannt, was auch wis­sen­schaft­lich beleg­bar ist. Der Puls ver­lang­samt sich, wenn wir uns im Wald auf­hal­ten. Es ist die küh­le­re Luft, das Vogel­zwit­schern, das Knar­ren der Bäu­me und das Rau­schen der Blät­ter. Er wirkt auf uns, ohne dass wir es mer­ken, beruhigend.

Wie erklä­ren Sie sich das?

Lou­is Kalik­stein: Der Kon­takt mit der Natur scheint etwas anzu­spre­chen, das von jeher in uns steckt. Der Mensch ist ja eigent­lich erst seit Kur­zem von der Natur ent­frem­det, wie man sagt. So ein Büro­ar­beits­platz ist eine rela­tiv neue Erfin­dung, vor­her haben wir jahr­tau­sen­de­lang in engem Ein­klang mit der Natur gelebt. Auf­grund der geschicht­li­chen Ver­bin­dung mit dem Wald befrie­digt uns die Arbeit oder der Auf­ent­halt in ihm irgend­wie immer noch. Genau wie Gemü­se im eige­nen Gar­ten anzu­bau­en. Auch scheint es eine gene­rel­le gesell­schaft­li­che Sehn­sucht nach Natur und Wald zu geben. Man schaue sich nur ein­mal erfolg­rei­che You­tube-For­ma­te wie
„7 vs. Wild“ an oder den Erfolg von „Land­lust“ und ande­ren Zeitschriften.

Es steht zu lesen, dass es in süd­li­chen Urlaubs­län­dern immer hei­ßer und ein Urlaub dort ent­spre­chend immer weni­ger attrak­tiv wird. Dar­um berei­sen die Leu­te eher nörd­li­che­re Regio­nen wie die hie­si­ge. Ist Ihnen ein sol­cher Zuwachs an Tou­ris­mus recht?

Lou­is Kalik­stein: Abso­lut. Was mich jedoch beun­ru­higt ist, dass es dem Wald wegen des Kli­ma­wan­dels und stei­gen­den Durch­schnitts­tem­pe­ra­tu­ren nicht so gut geht. Der Wald tickt sozu­sa­gen in lan­gen Zeit­räu­men. Jetzt haben wir aber einen Kli­ma­wan­del, der sehr rasch vor­an­schrei­tet und die Bäu­me tun sich schwer, mit die­ser Geschwin­dig­keit mit­zu­kom­men. Sie lei­den dar­un­ter, deutsch­land­weit. Gera­de bei der Buche mer­ken wir das hier im Stei­ger­wald deut­lich. Zusätz­lich beun­ru­hi­gend fin­de ich, dass die­se Ent­wick­lung kaum gesell­schaft­lich wahr­ge­nom­men wird. Ich freue mich also über alle, die in den Wald gehen und ihn und sei­ne Pro­ble­me wahrnehmen.

In wel­chem Zustand ist der Steigerwald?

Lou­is Kalik­stein: Der Stei­ger­wald ist auf gro­ßer Flä­che in einem noch guten und noch vita­len Zustand. Aber Schwie­rig­kei­ten durch Tro­cken­heit und Baum­ster­ben hat auch er.

Kann es den Bäu­men letzt­lich gelin­gen, sich an den Kli­ma­wan­del anzu­pas­sen, sofern die­ser nicht noch schlim­mer wird?

Lou­is Kalik­stein: Mit Sicher­heit. Die Natur hat kein Ziel und wird sich irgend­wie anpas­sen. Die Fra­ge ist nur, wel­ches Ziel eine Gesell­schaft hat? Wenn wir den Wald erhal­ten und ihn durch die­se schwie­ri­ge Zeit brin­gen wol­len, müs­sen wir ihm auf jeden Fall helfen.

Wo gera­ten Sie damit an Ihre Gren­zen? Da wo die Poli­tik nicht mitzieht?

Lou­is Kalik­stein: Nein, eher durch die Geschwin­dig­keit der kli­ma­ti­schen Ver­än­de­run­gen und die unvor­her­seh­ba­ren Fol­gen etwa, dass wir uns auf für den Wald schäd­li­che Insek­ten ein­stel­len wer­den müs­sen, die wir heu­te noch gar nicht ken­nen. Abge­se­hen von den Schutz­ge­bie­ten wird der Stei­ger­wald über­all bewirt­schaf­tet. Die­se Schutz­ge­bie­te sind auch für die For­schung wich­ti­ge Refe­ren­zen. Der größ­te Wald­be­sit­zer im Stei­ger­wald ist der Frei­staat, der den Wald auf etwa 17.000 Hekt­ar bewirt­schaf­tet. Hin­zu kom­men kom­mu­na­le und Pri­vat­wäl­der. Und gera­de der Staats- und Kom­mu­nal­wald wird vor­bild­lich bewirt­schaf­tet und für den Kli­ma­wan­del fit gemacht.

Ist Wald­wirt­schaft alter­na­tiv­los nötig oder könn­te man Sub­sti­tu­ti­ons-Stof­fe für zum Bei­spiel Holz finden?

Lou­is Kalik­stein: Im Gegen­teil. Ich den­ke, Holz ist ein her­vor­ra­gen­des Sub­sti­tu­ti­ons-Pro­dukt für Mate­ria­li­en, die viel CO2- und ener­gie­auf­wän­di­ger in der Her­stel­lung sind. Holz hat zudem die tol­le Eigen­schaft, CO2 zu speichern.

Wie hat sich der Zustand des Stei­ger­wal­des seit dem letz­ten Wald­tag ver­än­dert? Oder ist der Zeit­raum zu kurz für eine sol­che Angabe?

Lou­is Kalik­stein: Der Zeit­raum ist tat­säch­lich ein biss­chen kurz. Aber bes­ser ist der Zustand defi­ni­tiv nicht geworden.

In der Ankün­di­gung des Wald­ta­ges schrei­ben Sie, der Stei­ger­wald sei vor 300 Jah­ren stark über­nutzt gewe­sen, mit Holz­knapp­heit und Boden­schä­den. Sind die­se Schä­den heu­te noch bemerkbar?

Lou­is Kalik­stein: Wahr­schein­lich. Es ist jedoch so, dass uns dabei Ver­gleichs­mög­lich­kei­ten feh­len. Wir wis­sen nicht, wie der Wald heu­te aus­se­hen wür­de, wenn er damals nicht für so lan­ge Zeit so inten­siv bewirt­schaf­tet wor­den wäre. Die Böden, den­ke ich, wären heu­te zum Bei­spiel aber sicher­lich nährstoffreicher.

In wel­chem Zustand befin­det sich die Tierwelt?

Lou­is Kalik­stein: Es gab schon ein­mal mehr Tier­ar­ten im Stei­ger­wald. Gera­de gro­ße Beu­te­grei­fer, wie Wolf, Bär und Luchs, sind aus­ge­rot­tet. Was aber die jün­ge­re Ent­wick­lung angeht, bemer­ken wir durch die Zunah­me von Tot­holz im Wald eine Zunah­me der Lebe­we­sen, die auf sol­ches Holz ange­wie­sen sind. Das gilt ins­be­son­de­re für die Insektenwelt.

Böte der Stei­ger­wald zum Bei­spiel einem Wolfs­ru­del genug Platz?

Lou­is Kalik­stein: Ich den­ke, ja. Wir haben im Stei­ger­wald sehr gro­ße und weit­läu­fi­ge Wald­ge­bie­te. Was also die Flä­chen­grö­ße angeht, wäre nach den wis­sen­schaft­li­chen Aus­sa­gen zur Grö­ße von Wolfs­ter­ri­to­ri­en der Platz gege­ben. Aber das The­ma Wolf wird gesell­schaft­lich kon­tro­vers diskutiert.

Zurück zum Mot­to des Wald­ta­ges. Wel­che kul­tu­rel­le Aus­strah­lung hat der Wald? Denn was wären zum Bei­spiel die Mär­chen der Grimms ohne ihn?

Lou­is Kalik­stein: Er hat auf jeden Fall etwas mys­ti­sches. Schon wenn man in den Wald rein­geht, merkt man, dass es ein biss­chen dunk­ler und die Luft küh­ler und feuch­ter ist. Auch kann man nicht weit sehen und weiß nicht, was sich hin­ter dem nächs­ten Baum oder Busch ver­birgt. Ich den­ke, die­se Din­ge kön­nen die Fan­ta­sie, zum Bei­spiel für Mär­chen, durch­aus anregen.

Da möch­te man sagen: Je natur­be­las­se­ner der Wald, umso grö­ßer sei­ne mys­ti­sche Aus­strah­lung. Gibt es im Stei­ger­wald Berei­che, die Sie ganz sich selbst überlassen?

Lou­is Kalik­stein: Ja, sol­che Schutz­ge­bie­te gibt es, aber sie sind aller­dings rela­tiv jung. Es gibt eigent­lich sogar deutsch­land­weit kaum mehr Urwäl­der. Fast jeder Qua­drat­me­ter Wald wur­de in den letz­ten 1000 Jah­ren auf irgend­ei­ne Art und Wei­se vom Men­schen genutzt und geprägt. Das größ­te Schutz­ge­biet im Stei­ger­wald ist der Natur­wald „Knetz­ber­ge-Böhl­grund“ mit etwa 850 Hekt­ar Flä­che, das sind grob gesagt 1000 Fuß­ball­fel­der. Das ist eine beacht­li­che Grö­ße und dort soll sich die Natur ohne mensch­li­chen Ein­fluss ent­wi­ckeln. Aber im All­ge­mei­nen wol­len wir Ein­fluss neh­men auf den Wald, um ihm an den dem Kli­ma­wan­del anzupassen.

Hat der Wald den­noch so etwas wie eine beson­de­re Unschuld? Ist dort die Welt noch in Ordnung?

Lou­is Kalik­stein: Das kann ich mir vor­stel­len. Obwohl der Wald in Deutsch­land kaum mehr unbe­rührt und inso­fern fast voll­stän­dig ein Zivi­li­sa­ti­ons­pro­dukt ist, hat er eine sehr natür­li­che Aus­strah­lung. Kaum ande­re Berei­che aus dem sonst so anthro­po­gen gepräg­ten Umfeld haben eine sol­che Aus­strah­lung. Das beginnt schon bei den recht­wink­li­gen oder gerad­li­ni­gen Struk­tu­ren, die wir aus dem All­tag gewohnt sind, die aber im Wald nicht vorkommen.

Bau­holz, Brenn­holz, Totholz

Wald­tag 2023 im Steigerwald-Zentrum

Am 7. Mai öff­net das Stei­ger­wald-Zen­trum, am west­li­chen Rand des gleich­na­mi­gen Wal­des gele­gen, wie­der sei­ne Tore zum jähr­li­chen Wald­tag. Durch Infor­ma­ti­ons­stän­de, Aktio­nen oder Aus­stel­lun­gen möch­te das Zen­trum sei­nem Publi­kum den Wald und sei­ne Bewoh­ner näher­brin­gen. The­ma­ti­scher Schwer­punkt ist 2023 die Viel­fäl­tig­keit des Roh­stof­fes Holz. Mit Lou­is Kalik­stein, forst­li­cher Lei­ter im Stei­ger­wald-Zen­trum, haben wir über den Wald­tag, den Zustand des Stei­ger­wal­des und die Res­sour­ce Holz gesprochen.
Herr Kalik­stein, war­um legen Sie beim Wald­tag 2023 den the­ma­ti­schen Fokus auf Holz?

Lou­is Kalik­stein: Mit unse­ren Wald­ta­gen möch­ten wir die Mul­ti­funk­tio­na­li­tät unse­rer Wäl­der anschau­lich und für ein brei­tes Publi­kum begreif­bar machen. Dabei ist uns wich­tig, sowohl die öko­lo­gi­sche, die wirt­schaft­li­che als auch die sozia­le Bedeu­tung der Wäl­der aus­ge­wo­gen zu beleuch­ten. Die The­men der letz­ten Wald­ta­ge waren Insek­ten, „Wald ist gesund und macht Spaß“ und „Tie­re im Wald“.

Wel­che wirt­schaft­li­che Rol­le spielt Holz im und für den Stei­ger­wald? Wie vie­le Bäu­me wer­den jähr­lich gefällt?

Lou­is Kalik­stein: Ins­be­son­de­re für die vie­len klein- und mit­tel­stän­di­schen, fami­li­en­ge­führ­ten Säge­werks­be­trie­be und Forst­un­ter­neh­mer im Stei­ger­wald und der nähe­ren Umge­bung hat der Roh­stoff Holz eine wich­ti­ge Bedeu­tung. Die nach­hal­ti­ge Bewirt­schaf­tung der Wäl­der und die kur­zen Trans­port­we­ge machen das Holz aus dem Stei­ger­wald zu einer beson­ders nach­hal­ti­gen Res­sour­ce. Wie vie­le Bäu­me genau gefällt wer­den, wird nicht erho­ben, aber anhand von Forstin­ven­tu­ren, die wir im Zehn-Jah­res-Inter­vall unter­neh­men, kön­nen wir den jähr­li­chen Holz­zu­wachs sehr genau ermit­teln. Auf­bau­end auf die­sem Zuwachs wird der soge­nann­te Hiebs­satz, also die maxi­mal zu ern­ten­de Holz­men­ge fest­ge­legt. Eine nach­hal­ti­ge Forst­wirt­schaft kenn­zeich­net sich grund­sätz­lich dadurch, dass der Hiebs­satz den Zuwachs nicht überschreitet.

Sie zei­gen am Wald­tag eine Aus­stel­lung zu die­ser nach­hal­ti­gen Forst­wirt­schaft – wie wird sie im Stei­ger­wald betrieben?

Lou­is Kalik­stein: Die Wald­wirt­schaft, die wir im Stei­ger­wald prak­ti­zie­ren, erfolgt grund­sätz­lich nach wald­recht­li­chen Vor­schrif­ten, die im inter­na­tio­na­len Ver­gleich sehr streng sind. Dem­ge­mäß füh­ren wir im Stei­ger­wald kei­ne Kahl­schlä­ge durch, son­dern begut­ach­ten ern­te­rei­fe Bäu­me ein­zeln, ern­ten sie in Abhän­gig­keit von Vita­li­tät und Holz­qua­li­tät oder belas­sen sie als Bio­top­bäu­me im Wald. Im ver­gan­ge­nen Herbst hat­ten wir eine Grup­pe fran­zö­si­scher Förs­ter zu Gast, die sehr erstaunt waren über die­se zeit­auf­wän­di­ge, aber auch prä­zi­se Art der Wald­be­wirt­schaf­tung. Dar­über hin­aus ver­folgt die Wald­wirt­schaft in Bay­ern einen mul­ti­funk­tio­na­len Ansatz. Die­ser beinhal­tet die Sicher­stel­lung aller Wald­funk­tio­nen auf glei­cher Flä­che: Der Wald soll als intak­ter und arten­rei­cher Lebens­raum, als vita­ler Lie­fe­rant von Holz und als gesun­der Erho­lungs­ort für die Bevöl­ke­rung erhal­ten bleiben. 

Aber, der Wald hat auch Schutz­funk­tio­nen, denn er ist bei­spiels­wei­se in der Lage, Hoch­was­ser abzu­mil­dern und hoch­qua­li­ta­ti­ves Trink­was­ser zu spen­den, Tem­pe­ra­tur­schwan­kun­gen aus­zu­glei­chen, Staub und Gase aus der Luft zu fil­tern und Koh­len­stoff aus der Atmo­sphä­re im Holz auf­zu­neh­men. Die­se Viel­zahl an Funk­tio­nen gilt es lang­fris­tig zu sichern. Das Holz aus dem Stei­ger­wald bleibt zum gro­ßen Teil in der Regi­on und wird zu Schnitt­holz, Par­kett und Möbeln ver­ar­bei­tet. Aus Holz, das nicht im Säge­werk bear­bei­tet wer­den kann, wer­den Papier, Span­plat­ten und Cel­lu­lo­se­fa­sern gemacht oder die ört­li­che Bevöl­ke­rung nutzt es als Brennholz.

Spielt Holz auch eine gesell­schaft­li­che Rolle?

Lou­is Kalik­stein: Die meis­ten Men­schen ver­wen­den ger­ne Holz und schät­zen es im All­tag als natür­li­chen und anspre­chen­den Roh­stoff. Sie schla­fen lie­ber in einem Bett aus Holz als in einem mit küh­lem Metall­ge­stell. Anstatt an einem Kunst­stoff­tisch zu sit­zen, macht man es sich lie­ber an einem Uni­kat aus Holz gemüt­lich. Auch Tex­ti­li­en aus Holz­fa­sern sind eine gute Alter­na­ti­ve zu Baum­woll­pro­duk­ten, für deren Her­stel­lung viel Was­ser und Pflan­zen­schutz­mit­tel not­wen­dig sind. Des­halb gewinnt Wald­be­wirt­schaf­tung als unmit­tel­ba­rer Lie­fe­rant die­ses nach­wach­sen­den und auch wie­der ver­rot­ten­den Roh­stof­fes immer mehr an Bedeu­tung. Genau wie im Bau­ge­wer­be. Dort gewinnt es bei der Kon­struk­ti­on von Gebäu­den – auch von mehr­ge­schos­si­gen – immer mehr an Rele­vanz. Denn im Bau kann Holz ener­gie­auf­wän­di­ge Mate­ria­li­en wie Stahl­be­ton, Zie­gel und Kunst­stoff erset­zen. Und: Holz hat ein enor­mes Poten­zi­al, kli­ma­schäd­li­che Emis­sio­nen ein­zu­spa­ren – ein Poten­zi­al, das heu­te noch in gro­ßen Tei­len unge­nutzt ist.

Wo wird Holz ver­wen­det, ohne, dass man dar­auf kom­men würde?

Lou­is Kalik­stein: Mitt­ler­wei­le lässt sich Holz durch moder­ne Tech­nik ver­flüs­si­gen und, ganz ähn­lich wie wir es von Kunst­stoff­pro­duk­ten ken­nen, zu Folie oder Spritz­guss ver­ar­bei­ten. Damit kön­nen auch was­ser­ab­wei­sen­de Pro­duk­te wie Zahn­putz­be­cher und Sei­fen­scha­len her­ge­stellt wer­den. Neu­es­te For­schun­gen befas­sen sich außer­dem mit der Ver­wen­dungs­mög­lich­keit von Holz als Strom­spei­cher. Die wenigs­ten ver­mu­ten Holz außer­dem in wei­chen Mate­ria­li­en wie Klo­pa­pier oder Klei­dung. Eichen­fäs­ser ver­lei­hen dem Wein ein ein­zig­ar­ti­ges Aro­ma. Selbst in der Pflan­zen­heil­kun­de oder als Räu­cher­gut fin­det Holz Verwendung.

Was hat es mit Holz als Strom­spei­cher genau auf sich?

Lou­is Kalik­stein: Die Tech­no­lo­gie sieht vor, Akkus auf Basis von Lignin zu nut­zen. Lignin ist ein Bestand­teil von Holz und fällt bei­spiels­wei­se bei der Papier­pro­duk­ti­on als Neben­pro­dukt an. Der gro­ße Vor­teil von die­sen Lignin-Akkus ist, dass man damit Stof­fe wie Blei oder Lithi­um erset­zen kann, deren Gewin­nung nicht unbe­dingt posi­tiv für unse­re Natur ist, und dass die Brand­ge­fahr deut­lich nied­ri­ger ist als bei Lithium-Akkus.

Kann es sein, dass das Bas­tel-/Bau-/Mo­tor­sä­gen-Pro­gramm des Wald­ta­ges alles in allem den Fokus auf die Ver­wend­bar­keit von Holz legt, also das Fäl­len von Bäu­men, und nicht so sehr auf ihren Schutz?

Lou­is Kalik­stein: In die­sem Jahr liegt der Fokus unse­res Wald­ta­ges auf dem wert­vol­len Roh­stoff Holz, sei­nen viel­fäl­ti­gen Ver­wen­dungs­mög­lich­kei­ten und auf sei­ner zen­tra­len Bedeu­tung für den Kli­ma­schutz. Denn eine intel­li­gen­te Nut­zung von Holz ersetzt ande­re ener­gie­in­ten­si­ve und kli­ma­schäd­li­che Roh­stof­fe wie Kunst­stoff, Stahl oder Beton. Die Nut­zung von Holz setzt aber immer auch den Schutz des Wal­des vor­aus. Nur ein intak­tes Öko­sys­tem Wald kann lang­fris­tig sei­ne Funk­tio­nen, wie Was­ser­rück­halt, Sau­er­stoff­be­reit­stel­lung, CO2-Spei­che­rung, Holz­pro­duk­ti­on, sowie sei­ne Rol­le als Erho­lungs­ort und Lebens­raum erfül­len. All dies möch­ten wir an unse­rem Wald­tag vor­stel­len. Vor allem für Fami­li­en mit Kin­dern wird es eine Men­ge zum Aus­pro­bie­ren und Hand­wer­ken geben.

In wel­chem Zustand befin­den sich die Bäu­me des Stei­ger­walds? Wie hat er sich seit dem letz­ten Wald­tag geändert?

Lou­is Kalik­stein: Der nörd­li­che Stei­ger­wald ist haupt­säch­lich durch Rot­bu­chen geprägt. Die­se Baum­art wür­de auch von Natur aus auf dem Groß­teil der Flä­che domi­nie­ren. Durch den Kli­ma­wan­del fin­den die Bäu­me aber mitt­ler­wei­le viel tro­cke­ne­re und hei­ße­re Bedin­gun­gen vor, als sie gewöhnt sind. Wir beob­ach­ten, dass infol­ge­des­sen auch Buchen abster­ben. Wir müs­sen davon aus­ge­hen, dass sich die­ser Trend mit dem Fort­schrei­ten der Erd­er­wär­mung auch künf­tig fort­setzt. Der öst­li­che Stei­ger­wald ist hin­ge­gen von Kie­fern geprägt. Auch die­se Baum­art lei­det stark unter der Hit­ze und Tro­cken­heit der ver­gan­ge­nen Jah­re. Auf­ga­be der Förster*Innen ist es, die Wäl­der mit Baum­ar­ten anzu­rei­chern, die an das sich ändern­de Kli­ma bes­ser ange­passt sind, zum Bei­spiel mit Eichen, Els­bee­ren oder Feldahornen.

Gibt es bereits irrepa­ra­ble Schäden?

Lou­is Kalik­stein: Wir beob­ach­ten, dass vie­le, auch hei­mi­sche Baum­ar­ten, wie eben die Rot­bu­che, durch den Kli­ma­wan­del an die Gren­zen ihrer Wider­stands­fä­hig­keit sto­ßen. Noch besteht die Hoff­nung, dass sich künf­ti­ge Gene­ra­tio­nen die­ser Baum­ar­ten durch Selek­ti­on noch an die ver­än­der­ten Umwelt­be­din­gun­gen anpas­sen. Um aber auch den rest­li­chen Wald für die Zukunft zu erhal­ten, ist es wich­tig, sich nicht nur auf die­se oder weni­ge Baum­ar­ten zu ver­las­sen. Vie­ler­orts ist hier­für die Hil­fe der Förster*innen gefragt. Indem wir die Baum­ar­ten­zu­sam­men­set­zung um kli­ma­re­si­li­en­te Arten ergän­zen, erhöht sich die Vielfalt. 

Gleich­zei­tig sinkt damit das Risi­ko für flä­chi­ge Abster­be-Erschei­nun­gen durch Tro­cken­heit, Stür­me und Mas­sen­ver­meh­run­gen von Insek­ten, die durch den Kli­ma­wan­del immer häu­fi­ger wer­den. Ver­stärkt wer­den hei­mi­sche Baum­ar­ten mit höhe­rer Tole­ranz gegen­über Hit­ze und Tro­cken­heit, zum Bei­spiel Eichen­ar­ten oder Edel­laub­höl­zer wie Els­bee­re, Spei­er­ling und Feld­ahorn, ange­pflanzt. Klein­flä­chig wird der Anbau von Baum­ar­ten aus kon­ti­nen­ta­le­ren Gebie­ten erforscht, wel­che an unser künf­ti­ges Kli­ma mit mehr Extre­men ange­passt sind. Bei­spie­le hier­für sind die Baum­ha­sel oder auch die Ori­ent-Buche aus dem Bal­kan, als Schwes­ter­art unse­rer hei­mi­schen Rotbuche.

Letz­tes Jahr ging es wie erwähnt beim Wald­tag um Insek­ten. Wie hat sich deren Popu­la­ti­on seit­her entwickelt?

Lou­is Kalik­stein: Grund­sätz­lich schwan­ken Insek­ten­po­pu­la­tio­nen in Abhän­gig­keit von Wit­te­rung, Nah­rungs- und Habi­tat­an­ge­bot. Im Wald liegt der Fokus beson­ders auf Insek­ten­ar­ten, wel­che abge­stor­be­nes Holz als Lebens­raum nut­zen. Das Baye­ri­sche Ver­trags­na­tur­schutz­pro­gramm för­dert in den Kom­mu­nal- und Pri­vat­wäl­dern des Stei­ger­walds Maß­nah­men, die dem Arten­schutz zugu­te kom­men sol­len. Das sind etwa der Erhalt von lie­gen­dem oder ste­hen­dem Tot­holz, oder von Bäu­men, die für Insek­ten und Vögel wich­ti­ge Struk­tu­ren auf­wei­sen. Wir beob­ach­ten, dass die Inan­spruch­nah­me die­ser För­der­leis­tun­gen ste­tig zunimmt. Auch in den Staats­wäl­dern des nörd­li­chen Stei­ger­walds hat das Tot­holz­auf­kom­men und die dar­an ange­pass­te Insek­ten­fau­na seit 2010 stark zuge­nom­men. Damit hat sich natür­lich auch der Lebens­raum für vie­le Arten ver­grö­ßert. Leit­ar­ten wie der Zun­der­schwamm, der ästi­ge Sta­chel­bart oder der an den Zun­der­schwamm gebun­de­ne Schwarz­kä­fer leben mitt­ler­wei­le über­all im Staatswald.

Sie prä­sen­tie­ren außer­dem For­schungs­er­geb­nis­se zur Arten­viel­falt an Tot­holz. Was hat es damit auf sich?

Lou­is Kalik­stein: Wir möch­ten am Wald­tag auch ver­an­schau­li­chen, dass abge­stor­be­nes Holz eine wich­ti­ge Rol­le für vie­le Wald­be­woh­ner als Zuhau­se und Spei­se­kam­mer spielt. Die öko­lo­gi­sche For­schungs­sta­ti­on der Uni­ver­si­tät Würz­burg wird dazu an einem Stand aktu­el­le For­schungs­er­geb­nis­se prä­sen­tie­ren, auf die wir schon sehr gespannt sind. Denn totes Holz ist über­ra­schen­der­wei­se sehr leben­dig. In Mit­tel­eu­ro­pa sind mehr als als 2.000 ver­schie­de­ne Pilz- und 1.350 Käfer­ar­ten bekannt, die in und von Tot­holz leben. Vie­le Fol­ge­kon­su­men­ten wie Vögel, vor allem auch Spech­te, sind wie­der­um auf die­se Arten angewiesen. 

Viel totes Holz begüns­tigt zum Bei­spiel auch das Vor­kom­men des Mit­tel­spech­tes – ein cha­rak­te­ris­ti­scher und ein­zig­ar­ti­ger Bewoh­ner der Stei­ger­walds. Sei­ne Anwe­sen­heit ist ein ein­deu­ti­ges Indiz für Tot­holz­reich­tum und lässt dadurch auch auf das Vor­kom­men ande­rer Tot­holz-lie­ben­der Arten schlie­ßen. Das Über­le­ben des Mit­tel­spechts sichert somit das Über­le­ben der gan­zen Arten­ge­mein­schaft. Und: Neben der hohen Bio­di­ver­si­tät bie­tet Tot­holz dem Wald auch Schutz vor Aus­trock­nung, denn das lie­gen­de Mate­ri­al schützt das Boden­was­ser vor Ver­duns­tung und spei­chert selbst Was­ser, ähn­lich wie ein Schwamm.

Sie erwar­ten 2.000 Besu­che­rIn­nen zum Wald­tag. Ist es gut für den Wald und sei­ne Flo­ra und Fau­na, wenn 2.000 Leu­te an einem Tag durch ihn hin­durch lau­fen oder trampeln?

Lou­is Kalik­stein: Der Wald­tag fin­det haupt­säch­lich im Umfeld des Stei­ger­wald-Zen­trums statt. Mit geziel­ter Besu­cher­len­kung stel­len wir sicher, dass sich die Leu­te an den Stän­den und Sta­tio­nen ent­lang von befes­tig­ten Wegen auf­hal­ten. Der Wald, sei­ne Tie­re und Pflan­zen wer­den dadurch kei­nen Scha­den neh­men. Wir sind im Gegen­teil sogar davon über­zeugt, dass die Men­schen durch sol­che Ver­an­stal­tun­gen bewuss­ter und wert­schät­zen­der mit dem Wald und sei­nen wert­vol­len Res­sour­cen umgehen.

Ein wei­te­res The­ma des Tages heißt „Wald­apo­the­ke – wel­che Heil­kräf­te hat der Wald“. Sind die­se Heil­kräf­te wis­sen­schaft­lich bewiesen?

Lou­is Kalik­stein: Fol­gen­de posi­ti­ve Wir­kun­gen auf die Gesund­heit sind bereits wis­sen­schaft­lich belegt: Die höhe­re Luft­feuch­tig­keit und ‑rein­heit im Wald ent­las­tet Atem­we­ge und Haut und hilft, Atem­wegs­er­kran­kun­gen zu behan­deln. Der Kon­takt mit Mikro­bi­om des Wald­bo­dens über die Haut und Atem­we­ge stärkt das Immun­sys­tem und trägt bei Kin­dern zur Ent­wick­lung des Immun­sys­tems bei. Außer­dem kann ein Wald­be­such den Blut­druck regu­lie­ren, die Puls­fre­quenz sen­ken, Stress redu­zie­ren, ADHS-Sym­pto­me mini­mie­ren, Selbst­ak­zep­tanz posi­tiv beein­flus­sen und chro­ni­sche Schmer­zen lin­dern. Ins­be­son­de­re in Japan beschäf­tigt sich die For­schung außer­dem schon lan­ge mit der Heil­wir­kung des Wal­des. „Wald­ba­den“, in Euro­pa ein jün­ge­rer Trend, hat dort eine sehr lan­ge Tradition.

Auch eine Ral­lye zum The­ma Spech­te bie­ten Sie an. Besteht dabei die Chan­ce, Spech­te zu sehen zu bekommen?

Lou­is Kalik­stein: Die Ral­lye fin­det im Gebäu­de statt, weil dort aktu­ell eine Aus­stel­lung zum The­ma Spech­te auf­ge­baut ist. Leben­di­ge Spech­te kann man aber häu­fig rund um das Zen­trum flie­gen sehen und vor allem jetzt im Früh­ling auch trom­meln und rufen hören. Gan­ze sechs der in Deutsch­land vor­kom­men­den zehn Specht­ar­ten kom­men regel­mä­ßig im Stei­ger­wald vor: Der Bunt‑, Mittel‑, Grau‑, Grün- und Schwarz­specht sowie der Wendehals.

Waldtag
Schwarz­spech­te im Stei­ger­wald, Foto: Hubert Bosch

Die ver­bor­ge­ne Welt der Insekten

Wald­tag 2022

All­jähr­lich ver­an­stal­tet das Stei­ger­wald-Zen­trum, nahe Schwein­furt gele­gen, den Wald­tag. Durch kind­ge­rech­te Aktio­nen, Dar­bie­tun­gen und Aus­stel­lun­gen bringt das Team aus Trä­ger­ver­ein und Forst­ver­wal­tung sei­nem Publi­kum an die­sem Tag gemein­sam den Stei­ger­wald, sei­ne tie­ri­schen und pflanz­li­chen Bewoh­ner, und auch den viel­fäl­ti­gen Werk­stoff Holz näher. 2022 steht the­ma­tisch die oft ver­bor­ge­ne Welt der Insek­ten im Vor­der­grund. Eine Welt, die bedroht ist.

„Klei­ne Wesen ganz groß“ lau­tet das Mot­to, wenn das Stei­ger­wald­zen­trum am 15. Mai um 11 Uhr dem Publi­kum sei­ne Tore zum Wald­tag öff­net. Gemeint sind damit zum einen Insek­ten und zum ande­ren Boden­le­be­we­sen, also Tie­re, die im Boden leben, wie Mil­ben, Asseln oder Regenwürmer.

Waldtag
Sarah Kol­me­der, die sin­gen­de Förs­te­rin, Foto: Con­stan­ze Stern

Als Buchen­wald­ge­biet beher­bergt der Stei­ger­wald vie­le Insek­ten, die an die Buche als Nah­rungs­quel­le oder Lebens­stät­te ange­passt sind. Eine beson­de­re Art, mit der der Stei­ger­wald auf­war­ten kann, ist der Schwarz­kä­fer. Die­se Käfer­art lebt vom Zun­der­schwamm, einem Pilz, der abster­ben­de Buchen besiedelt.

Für nicht weni­ge Men­schen sind Insek­ten aller­dings eher unan­ge­neh­me Ver­tre­ter des Tier­reichs, aber „die meis­ten haben sich nur noch nicht getraut, näher hin­zu­se­hen, um die eigen­tüm­li­che Schön­heit der Insek­ten zu ent­de­cken. Vie­le Men­schen wis­sen auch nicht, wie bedeu­tend sie sind“, sagt Sarah Kol­me­der, Förs­te­rin und Wald­päd­ago­gin im Stei­ger­wald-Zen­trum. „So erklärt sich auch das Mot­to näher. Insek­ten mögen sehr klein sein, ihre Wich­tig­keit für uns und auch für den Wald ist aber enorm.“ Das zu ver­an­schau­li­chen und spie­le­risch Begeis­te­rung für die­se Tie­re zu wecken, ist das Ziel des Wald­tags 2022. Genau wie Schutz­maß­nah­men auf­zu­zei­gen, die jeder ergrei­fen kann.

Der Schwarz­kä­fer, Foto: Ste­phan Thierfelder
„Das gan­ze Öko­sys­tem wür­de insta­bi­ler werden“

Die­se Wich­tig­keit hat meh­re­re Aspek­te. Insek­ten und Boden­le­be­we­sen sor­gen sozu­sa­gen für das Recy­cling im Wald. Stirbt ein Baum oder ein Tier, zer­set­zen oder ver­til­gen sie, zusam­men mit Pil­zen oder Mikro­or­ga­nis­men wie Bak­te­ri­en, die abge­stor­be­ne Mate­rie. Ohne die­sen Ein­satz wür­de sich tote Sub­stanz meter­hoch im Wald aufschichten.

„Das ist außer­dem der ers­te Schritt in der Nah­rungs­ket­te“, sagt Sarah Kol­me­der, „um Nähr­stof­fe für die ers­ten Fol­ge­kon­su­men­ten, zum Bei­spiel hung­ri­ge Pflan­zen, ver­füg­bar zu machen. Außer­dem sind Boden­tie­re und Insek­ten selbst die Nah­rung für ande­re Lebe­we­sen. Insek­ten spie­len dar­über hin­aus eine sehr gro­ße Rol­le für die Bestäu­bung von Pflanzen.“

Und damit auch für den Men­schen. Von 109 der ver­brei­tets­ten Kul­tur­pflan­zen sind 87 auf die Bestäu­bung durch Insek­ten wie Bie­nen oder Schmet­ter­lin­ge ange­wie­sen. Hin­zu kommt, dass man­che Pflan­zen der­art spe­zia­li­siert sind, dass sie nur von einer ein­zi­gen Insek­ten­art bestäubt wer­den kön­nen. Das heißt, je weni­ger Insek­ten­viel­falt, des­to weni­ger Pflan­zen­viel­falt. Und anders herum.

Ein Rück­gang der Insek­ten­po­pu­la­ti­on könn­te ent­spre­chend gra­vie­ren­de Kon­se­quen­zen für das Öko­sys­tem Wald und auch für die Ernäh­rung der Mensch­heit haben. „Pflan­zen­viel­falt in unse­rem Spei­se­plan ist die Grund­la­ge für ein gesun­des Leben. Die Böden, auch im Wald, könn­ten außer­dem Tie­ren und Pflan­zen nicht mehr im nöti­gen Umfang Nähr­stof­fe lie­fern, weil die Zer­set­zung nicht mehr rich­tig funk­tio­nie­ren wür­de. Das gan­ze Öko­sys­tem wür­de insta­bil wer­den. Dar­über hin­aus gehen Popu­la­tio­nen von Fol­ge­kon­su­men­ten zurück – bei bei­spiels­wei­se Vögel­be­stän­den mer­ken wir das schon. Eine deut­sche Stu­die, die es sogar in die New York Times geschafft hat, konn­te den dra­ma­ti­schen Rück­gang der Insek­ten schon bele­gen: Die Bio­mas­se flug­ak­ti­ver Insek­ten hat deutsch­land­weit in den letz­ten 27 Jah­ren um mehr als 75 Pro­zent abgenommen.“

Die Haupt­ur­sa­che dafür sei der Ver­lust von Lebens­raum. „Die prä­gends­te Land­nut­zungs­form in Deutsch­land ist die Land­wirt­schaft. Sie hat mehr als die Hälf­te der Flä­che des Lan­des inne. Größ­ten­teils wird sie mit Mono­kul­tu­ren betrie­ben, stark gedüngt und mit Pes­ti­zi­den besprüht. Das sind Din­ge, die Insek­ten krank machen – und übri­gens auch Men­schen. Der Zusam­men­hang zwi­schen Pes­ti­zi­den und ver­schie­de­nen Krebs­ar­ten ist bereits erforscht. Nach der Land­wirt­schaft kommt flä­chen­mä­ßig der Wald mit rund 30 Pro­zent. Auch wir Förster*innen müs­sen also Ver­ant­wor­tung für den Insek­ten­schutz über­neh­men und ihnen durch Blüh­strei­fen, natür­li­che Wald­rän­der, Alt- und Tot­holz Lebens­raum schaf­fen. Knapp 15 Pro­zent der Land­nut­zung machen Sied­lun­gen aus – auch jeder natur­na­he Gar­ten ist also ist ein Schatz.“

Baum­ster­ben im Steigerwald

Der Kli­ma­wan­del tut sein Übri­ges. Grund­sätz­lich sind Insek­ten sehr wär­me­lie­bend, man­che Arten pro­fi­tie­ren inso­fern von höhe­ren Tem­pe­ra­tu­ren. Hier­zu­lan­de aber lei­der oft die fal­schen. „Bor­ken­kä­fer oder Schwamm­spin­ner, wel­che die Nähr­stoff­leit­bah­nen unter der Fich­ten­rin­de bezie­hungs­wei­se Eichen­blät­ter fres­sen, sind Bei­spie­le sol­cher Arten. Sie kön­nen sich bei stei­gen­den Durch­schnitts­tem­pe­ra­tu­ren öfter mas­sen­haft ver­meh­ren und Bäu­me zum Abster­ben brin­gen. Ande­re Insek­ten sind durch den Kli­ma­wan­del aber in ihrer Ent­wick­lung gestört. Es gibt Schmet­ter­lin­ge, die im Herbst im Pup­pen­sta­di­um in den Boden ein­ge­gra­ben über­win­tern und im Früh­ling schlüp­fen. Damit ihre Meta­mor­pho­se hin zum Schlüp­fen aber rich­tig ablau­fen kann, brau­chen sie Frost­tem­pe­ra­tu­ren. Ist es zu warm, blei­ben die Frös­te aus und die Schmet­ter­lin­ge ster­ben durch die unvoll­stän­di­ge Entwicklung.“

Der Stei­ger­wald hat seit Jah­ren mit die­sen Ent­wick­lun­gen, vor allem mit dem Baum­ster­ben zu kämp­fen. Kli­ma­tisch in einer ohne­hin wär­me­ren und nie­der­schlags­ar­men Gegend gele­gen, ver­schärft sich sei­ne Situa­ti­on durch den Kli­ma­wan­del noch. „Nadel­baum­be­stän­de sind dadurch stark zurück­ge­drängt wor­den“, sagt Sarah Kol­me­der. „Da sie hier nicht stand­ort­hei­misch und eigent­lich an käl­te­re, feuch­te­re Kli­ma­te ange­passt sind, wei­chen sie als ers­te. Doch sogar vie­le Buchen, die sich hier in ihrer Hei­mat befin­den, ster­ben zuneh­mend durch Tro­cken­heit ab.“

Noch kann dem aber gegen­ge­steu­ert wer­den. Von Regie­run­gen und jeder und jedem Ein­zel­nen. „Es ist drin­gend not­wen­dig, ein men­schen- und insek­ten­freund­li­ches Kli­ma zu erhal­ten. In Bezug auf das Insek­ten­ster­ben ist es außer­dem ele­men­tar wich­tig, dass wie­der Lebens­raum für sie geschaf­fen wird. Durch den Kon­sum von Bio-Pro­duk­ten kön­nen wir die öko­lo­gi­sche Land­wirt­schaft för­dern, die auf Pes­ti­zi­de ver­zich­tet. Im eige­nen Gar­ten kann man Insek­ten klei­ne Inseln schaf­fen, indem man zum Bei­spiel hei­mi­sche Nah­rungs­pflan­zen, wie Kräu­ter oder Obst­bäu­me, für sie pflanzt. Eine Wie­se ein­fach wach­sen las­sen, sie ledig­lich zwei­mal im Jahr mähen, im Juni und August, und das Mäh­gut ent­fer­nen, geht auch. Auch über Tot­holz und Sand­häuf­chen freu­en sich vie­le Insek­ten. Außer­dem kann man Arten­schutz­ver­ei­ne unterstützen.“

Die sin­gen­de Försterin

Der Wald­tag am 15. Mai hat also durch­aus sei­ne Hin­ter­ge­dan­ken. Im Vor­der­grund soll jedoch ste­hen, die ver­bor­ge­ne Welt der Insek­ten zu erkun­den. Je nach Wet­ter­la­ge stellt sich das Stei­ger­wald-Zen­trum auf bis zu 2.000 Besu­che­rin­nen und Besu­cher ein.

„Es gibt für alle etwas, um Fas­zi­na­ti­on an Insek­ten zu ent­de­cken! Wir wer­den eine Thea­ter­auf­füh­rung zum The­ma „Regen­wurm“ und zu den „wil­den Bie­nen“ haben – rich­tig cool“, sagt Sarah Kol­me­der. „Außer­dem gibt es Bas­tel­stän­de, Kin­der­schmin­ken, Baum­klet­tern, einen Stand zur Insek­ten­for­schung, eine Ket­ten­sä­gen­künst­le­rin, einen Fach­vor­trag über Honig­bie­nen und natür­lich Speis und Trank.“

In den Räum­lich­kei­ten des Zen­trums selbst kann das Publi­kum eine zwei­tei­li­ge Aus­stel­lung besu­chen. The­ma: „Fun­keln im Dun­keln“. Es geht um Boden­tie­re und Nacht­fal­ter und ihre fins­te­re, geheim­nis­vol­le Welt. In zwei Dun­kel­zel­ten – „ein biss­chen geis­ter­bahn­mä­ßig“ – zeigt das Stei­ger­wald­zen­trum über­le­bens­gro­ße, min­des­tens zehn­fach ver­grö­ßer­te Papp­ma­ché-Insek­ten­mo­del­le und ver­mit­telt Infor­ma­tio­nen dazu. Der zwei­te Teil beleuch­tet die Rol­le der Wald­amei­sen mit ihren Wech­sel­be­zie­hun­gen zu unzäh­li­gen Tier- und Pflan­zen­ar­ten und ihrem fein gespon­ne­nen Netz von Abhän­gig­kei­ten in ihrem Lebensraum.

Sarah Kol­me­der kann in Sachen Infor­ma­ti­ons­über­mitt­lung unter­des­sen einen ganz eige­nen Ansatz bei­tra­gen. Sie ist bekannt als die sin­gen­de Förs­te­rin. „In mei­ner Frei­zeit mache ich Musik, die ich manch­mal mit mei­nen wald­päd­ago­gi­schen Füh­run­gen ver­bin­de. Dann habe ich mei­ne Uku­le­le dabei und sin­ge Schul­klas­sen selbst­ge­schrie­be­ne Lie­der über Wald und Natur vor. Ich habe die Erfah­rung gemacht, dass auf die­sem Wege mehr hän­gen bleibt. Viel­leicht wer­de ich auch auf dem Wald­tag spielen.“

Waldtag
Das Stei­ger­wald-Zen­trum, Foto: Rapha­el Geuppert