Stei­ger­wald-Zen­trum

Wald­tag 2024: Der Wald und wir

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Waldtag
Stationen beim Waldtag 2023, Foto: Daniela Mahroug
All­jähr­lich lädt das Stei­ger­wald-Zen­trum in Hand­thal zum Wald­tag, um dem Publi­kum „die Pfor­te zum Wald auf­schlie­ßen“, wie Lou­is Kalik­stein, Forst­li­cher Lei­ter des Zen­trums, sagt. Unter dem Mot­to „Der Wald und wir“ soll den Besucher:innen am 5. Mai durch Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen, Mit­mach-Aktio­nen wie Baum­klet­tern oder das immer belieb­te­re Wald­ba­den, der Wald, sein Zustand und sei­ne gesell­schaft­li­che Bedeu­tung näher­ge­bracht wer­den. Wir haben mit Lou­is Kalik­stein über den Tag gesprochen.
Herr Kalik­stein, wäre in einer idea­len Welt nicht jeden Tag Waldtag?

Lou­is Kalik­stein: Es ist im Grun­de genom­men jeden Tag Wald­tag. Es gibt in Deutsch­land das soge­nann­te freie Betre­tungs­recht, das heißt, jeder darf jeder­zeit in den Wald hin­ein­ge­hen. Auch haben wir eigent­lich sehr vie­le Wald­ta­ge im Stei­ger­wald-Zen­trum, weil wir regel­mä­ßig Schul­klas­sen oder ande­re Grup­pen durch den Wald füh­ren und an den Wochen­en­den vie­le Ver­an­stal­tun­gen auch im Wald anbie­ten. Das könn­te man als klei­ne Wald­ta­ge bezeich­nen, bloß unser gro­ßer Wald­tag fin­det tat­säch­lich nur ein­mal im Jahr statt.

Was hat es mit dem dies­jäh­ri­gen Mot­to „Der Wald und wir“ auf sich?

Lou­is Kalik­stein: Wir über­le­gen uns jedes Jahr ein ande­res Mot­to, weil wir den Wald, der wahn­sin­nig facet­ten­reich ist, immer von einem ande­ren Blick­win­kel aus betrach­ten wol­len. Die­ses Jahr wur­de es „Der Wald und wir“, weil wir damit die Bezie­hung von Mensch und Wald genau­er beleuch­ten wol­len. Man spricht ja immer davon, dass die Deut­schen so eine Wald­na­ti­on sei­en mit einem beson­de­ren Ver­hält­nis zum Wald.

Es gibt Län­der, wie zum Bei­spiel Island, die über­haupt kei­nen Wald haben. Deutsch­land hat hin­ge­gen rela­tiv viel davon. Wie kann sich so eine Land­schaft in einer Men­ta­li­tät niederschlagen?

Lou­is Kalik­stein: Sehr stark. Geht man in der Geschich­te zurück, sieht man, dass die Men­schen in Mit­tel­eu­ro­pa immer schon von und mit dem Wald leb­ten, in einer sehr engen und abhän­gi­gen Bezie­hung. Das Vieh wur­de zum Wei­den in den Wald getrie­ben, man hat Eichen­rin­de zum Ger­ben ver­wen­det, es wur­den Pflan­zen, Bee­ren, Pil­ze und Kräu­ter gesam­melt und man hat natür­lich Holz in rau­hen Men­gen benö­tigt. Der Ötzi ist ein gutes Bei­spiel dafür, wie gut sich die Men­schen mit dem Natur­stoff Holz aus­kann­ten. Er hat­te in sei­nem Werk­zeug und sei­ner Aus­rüs­tung 17 ver­schie­de­ne Holz­ar­ten bei sich, wie Unter­su­chun­gen erga­ben. Der Griff sei­nes Mes­sers war aus Eschen­holz, sein Tra­ge­ge­stell aus Hasel­nuss, sein Bogen aus Eibe und die Pfei­le aus Schnee­ball, einem Strauch­ge­wächs. Bereits vor gut 5000 Jah­ren, etwa die Zeit als Ötzi leb­te, kann­ten die Men­schen den Wald also sehr gut und wuss­ten ziem­lich genau, wel­ches Holz sie wofür ver­wen­den konn­ten. Die­se Ver­bin­dung zum Wald hat sich natür­lich auch in der Kul­tur nie­der­ge­schla­gen, zum Bei­spiel sind vie­le Rede­wen­dun­gen heu­te Zeug­nis davon, wie „den Wald vor lau­ter Bäu­men nicht sehen“, „sich wie die Axt im Wald beneh­men“ oder „ich glaub, ich steh‘ im Wald“.

Lässt sich sagen, wie es im Stei­ger­wald vor 5000 Jah­ren zuging?

Lou­is Kalik­stein: Was man sicher weiß ist, dass es deut­lich mehr Wald gab und dass der Wald haupt­säch­lich ein Buchen­wald war – genau wie heu­te. Die Men­schen waren zunächst noch nicht sess­haft, sie zogen als Jäger mit Hüt­ten und Zel­ten umher. Bevor­zugt haben sie ihre Quar­tie­re an Was­ser­läu­fen errich­tet, was Fund­stel­len ent­lang der Ebrach bele­gen. Dort hat man man zum Bei­spiel Stein­klin­gen und Boh­rer gefun­den. Mit dem Über­gang zum, Neo­li­thi­kum, also zur Jung­stein­zeit vor etwa 5000 Jah­ren, wur­den die Men­schen dann mehr und mehr zu sess­haf­ten oder zu teil­wei­se sess­haf­ten Acker­bau­ern und Vieh­züch­tern. Auch dies ist durch Kera­mik­fun­de im Stei­ger­wald belegt.

Wie steht es um den gesell­schaft­li­chen Bezug zum Wald heu­te? Ist man sich sei­ner Wich­tig­keit als Roh­stoff- oder Nah­rungs­lie­fe­rant bewusst oder nimmt man ihn zur Kennt­nis und nichts weiter?

Lou­is Kalik­stein: Ich glau­be, bei­des. Frü­her war der Wald natür­lich viel stär­ker im Fokus, was sei­ne Nut­zung anging. In den Jahr­tau­sen­den bevor es Plas­tik gab war Holz der Roh­stoff schlecht­hin: zum Hei­zen, Bau­en, für Werk­zeu­ge, Kar­ren, Waf­fen oder Schif­fe. Das hat sich erst in der Zeit geän­dert, als Metal­le und dann spä­ter Plas­tik auf­ka­men und das Holz immer wei­ter ablös­ten. Ent­spre­chend hat sich auch das Bild, das eine Gesell­schaft vom Wald hat, gewan­delt. Heu­te spielt er, neben durch­aus auch wei­ter­hin bestehen­den wirt­schaft­li­chen Aspek­ten, zum Bei­spiel eine wich­ti­ge tou­ris­ti­sche Rol­le. Die Leu­te gegen in ihm spa­zie­ren, wan­dern, Fahr­rad­fah­ren oder Geo­cachen. Das ist eine Art Schnit­zel­jagd anhand von GPS-Daten.

Im Stei­ger­wald und am Wald­tag kann man zudem Wald­ba­den, also im Wald Ent­span­nungs­übun­gen machen, bei denen man ver­sucht, die Natur bewusst und mit allen Sin­nen zu erle­ben. Wel­che Rück­mel­dun­gen bekom­men Sie dabei?

Lou­is Kalik­stein: Das Wald­ba­den stammt tra­di­tio­nell aus Japan und schwappt immer mehr nach Euro­pa über. Die Leu­te füh­len sich dabei ent­spannt, was auch wis­sen­schaft­lich beleg­bar ist. Der Puls ver­lang­samt sich, wenn wir uns im Wald auf­hal­ten. Es ist die küh­le­re Luft, das Vogel­zwit­schern, das Knar­ren der Bäu­me und das Rau­schen der Blät­ter. Er wirkt auf uns, ohne dass wir es mer­ken, beruhigend.

Wie erklä­ren Sie sich das?

Lou­is Kalik­stein: Der Kon­takt mit der Natur scheint etwas anzu­spre­chen, das von jeher in uns steckt. Der Mensch ist ja eigent­lich erst seit Kur­zem von der Natur ent­frem­det, wie man sagt. So ein Büro­ar­beits­platz ist eine rela­tiv neue Erfin­dung, vor­her haben wir jahr­tau­sen­de­lang in engem Ein­klang mit der Natur gelebt. Auf­grund der geschicht­li­chen Ver­bin­dung mit dem Wald befrie­digt uns die Arbeit oder der Auf­ent­halt in ihm irgend­wie immer noch. Genau wie Gemü­se im eige­nen Gar­ten anzu­bau­en. Auch scheint es eine gene­rel­le gesell­schaft­li­che Sehn­sucht nach Natur und Wald zu geben. Man schaue sich nur ein­mal erfolg­rei­che You­tube-For­ma­te wie
„7 vs. Wild“ an oder den Erfolg von „Land­lust“ und ande­ren Zeitschriften.

Es steht zu lesen, dass es in süd­li­chen Urlaubs­län­dern immer hei­ßer und ein Urlaub dort ent­spre­chend immer weni­ger attrak­tiv wird. Dar­um berei­sen die Leu­te eher nörd­li­che­re Regio­nen wie die hie­si­ge. Ist Ihnen ein sol­cher Zuwachs an Tou­ris­mus recht?

Lou­is Kalik­stein: Abso­lut. Was mich jedoch beun­ru­higt ist, dass es dem Wald wegen des Kli­ma­wan­dels und stei­gen­den Durch­schnitts­tem­pe­ra­tu­ren nicht so gut geht. Der Wald tickt sozu­sa­gen in lan­gen Zeit­räu­men. Jetzt haben wir aber einen Kli­ma­wan­del, der sehr rasch vor­an­schrei­tet und die Bäu­me tun sich schwer, mit die­ser Geschwin­dig­keit mit­zu­kom­men. Sie lei­den dar­un­ter, deutsch­land­weit. Gera­de bei der Buche mer­ken wir das hier im Stei­ger­wald deut­lich. Zusätz­lich beun­ru­hi­gend fin­de ich, dass die­se Ent­wick­lung kaum gesell­schaft­lich wahr­ge­nom­men wird. Ich freue mich also über alle, die in den Wald gehen und ihn und sei­ne Pro­ble­me wahrnehmen.

In wel­chem Zustand ist der Steigerwald?

Lou­is Kalik­stein: Der Stei­ger­wald ist auf gro­ßer Flä­che in einem noch guten und noch vita­len Zustand. Aber Schwie­rig­kei­ten durch Tro­cken­heit und Baum­ster­ben hat auch er.

Kann es den Bäu­men letzt­lich gelin­gen, sich an den Kli­ma­wan­del anzu­pas­sen, sofern die­ser nicht noch schlim­mer wird?

Lou­is Kalik­stein: Mit Sicher­heit. Die Natur hat kein Ziel und wird sich irgend­wie anpas­sen. Die Fra­ge ist nur, wel­ches Ziel eine Gesell­schaft hat? Wenn wir den Wald erhal­ten und ihn durch die­se schwie­ri­ge Zeit brin­gen wol­len, müs­sen wir ihm auf jeden Fall helfen.

Wo gera­ten Sie damit an Ihre Gren­zen? Da wo die Poli­tik nicht mitzieht?

Lou­is Kalik­stein: Nein, eher durch die Geschwin­dig­keit der kli­ma­ti­schen Ver­än­de­run­gen und die unvor­her­seh­ba­ren Fol­gen etwa, dass wir uns auf für den Wald schäd­li­che Insek­ten ein­stel­len wer­den müs­sen, die wir heu­te noch gar nicht ken­nen. Abge­se­hen von den Schutz­ge­bie­ten wird der Stei­ger­wald über­all bewirt­schaf­tet. Die­se Schutz­ge­bie­te sind auch für die For­schung wich­ti­ge Refe­ren­zen. Der größ­te Wald­be­sit­zer im Stei­ger­wald ist der Frei­staat, der den Wald auf etwa 17.000 Hekt­ar bewirt­schaf­tet. Hin­zu kom­men kom­mu­na­le und Pri­vat­wäl­der. Und gera­de der Staats- und Kom­mu­nal­wald wird vor­bild­lich bewirt­schaf­tet und für den Kli­ma­wan­del fit gemacht.

Ist Wald­wirt­schaft alter­na­tiv­los nötig oder könn­te man Sub­sti­tu­ti­ons-Stof­fe für zum Bei­spiel Holz finden?

Lou­is Kalik­stein: Im Gegen­teil. Ich den­ke, Holz ist ein her­vor­ra­gen­des Sub­sti­tu­ti­ons-Pro­dukt für Mate­ria­li­en, die viel CO2- und ener­gie­auf­wän­di­ger in der Her­stel­lung sind. Holz hat zudem die tol­le Eigen­schaft, CO2 zu speichern.

Wie hat sich der Zustand des Stei­ger­wal­des seit dem letz­ten Wald­tag ver­än­dert? Oder ist der Zeit­raum zu kurz für eine sol­che Angabe?

Lou­is Kalik­stein: Der Zeit­raum ist tat­säch­lich ein biss­chen kurz. Aber bes­ser ist der Zustand defi­ni­tiv nicht geworden.

In der Ankün­di­gung des Wald­ta­ges schrei­ben Sie, der Stei­ger­wald sei vor 300 Jah­ren stark über­nutzt gewe­sen, mit Holz­knapp­heit und Boden­schä­den. Sind die­se Schä­den heu­te noch bemerkbar?

Lou­is Kalik­stein: Wahr­schein­lich. Es ist jedoch so, dass uns dabei Ver­gleichs­mög­lich­kei­ten feh­len. Wir wis­sen nicht, wie der Wald heu­te aus­se­hen wür­de, wenn er damals nicht für so lan­ge Zeit so inten­siv bewirt­schaf­tet wor­den wäre. Die Böden, den­ke ich, wären heu­te zum Bei­spiel aber sicher­lich nährstoffreicher.

In wel­chem Zustand befin­det sich die Tierwelt?

Lou­is Kalik­stein: Es gab schon ein­mal mehr Tier­ar­ten im Stei­ger­wald. Gera­de gro­ße Beu­te­grei­fer, wie Wolf, Bär und Luchs, sind aus­ge­rot­tet. Was aber die jün­ge­re Ent­wick­lung angeht, bemer­ken wir durch die Zunah­me von Tot­holz im Wald eine Zunah­me der Lebe­we­sen, die auf sol­ches Holz ange­wie­sen sind. Das gilt ins­be­son­de­re für die Insektenwelt.

Böte der Stei­ger­wald zum Bei­spiel einem Wolfs­ru­del genug Platz?

Lou­is Kalik­stein: Ich den­ke, ja. Wir haben im Stei­ger­wald sehr gro­ße und weit­läu­fi­ge Wald­ge­bie­te. Was also die Flä­chen­grö­ße angeht, wäre nach den wis­sen­schaft­li­chen Aus­sa­gen zur Grö­ße von Wolfs­ter­ri­to­ri­en der Platz gege­ben. Aber das The­ma Wolf wird gesell­schaft­lich kon­tro­vers diskutiert.

Zurück zum Mot­to des Wald­ta­ges. Wel­che kul­tu­rel­le Aus­strah­lung hat der Wald? Denn was wären zum Bei­spiel die Mär­chen der Grimms ohne ihn?

Lou­is Kalik­stein: Er hat auf jeden Fall etwas mys­ti­sches. Schon wenn man in den Wald rein­geht, merkt man, dass es ein biss­chen dunk­ler und die Luft küh­ler und feuch­ter ist. Auch kann man nicht weit sehen und weiß nicht, was sich hin­ter dem nächs­ten Baum oder Busch ver­birgt. Ich den­ke, die­se Din­ge kön­nen die Fan­ta­sie, zum Bei­spiel für Mär­chen, durch­aus anregen.

Da möch­te man sagen: Je natur­be­las­se­ner der Wald, umso grö­ßer sei­ne mys­ti­sche Aus­strah­lung. Gibt es im Stei­ger­wald Berei­che, die Sie ganz sich selbst überlassen?

Lou­is Kalik­stein: Ja, sol­che Schutz­ge­bie­te gibt es, aber sie sind aller­dings rela­tiv jung. Es gibt eigent­lich sogar deutsch­land­weit kaum mehr Urwäl­der. Fast jeder Qua­drat­me­ter Wald wur­de in den letz­ten 1000 Jah­ren auf irgend­ei­ne Art und Wei­se vom Men­schen genutzt und geprägt. Das größ­te Schutz­ge­biet im Stei­ger­wald ist der Natur­wald „Knetz­ber­ge-Böhl­grund“ mit etwa 850 Hekt­ar Flä­che, das sind grob gesagt 1000 Fuß­ball­fel­der. Das ist eine beacht­li­che Grö­ße und dort soll sich die Natur ohne mensch­li­chen Ein­fluss ent­wi­ckeln. Aber im All­ge­mei­nen wol­len wir Ein­fluss neh­men auf den Wald, um ihm an den dem Kli­ma­wan­del anzupassen.

Hat der Wald den­noch so etwas wie eine beson­de­re Unschuld? Ist dort die Welt noch in Ordnung?

Lou­is Kalik­stein: Das kann ich mir vor­stel­len. Obwohl der Wald in Deutsch­land kaum mehr unbe­rührt und inso­fern fast voll­stän­dig ein Zivi­li­sa­ti­ons­pro­dukt ist, hat er eine sehr natür­li­che Aus­strah­lung. Kaum ande­re Berei­che aus dem sonst so anthro­po­gen gepräg­ten Umfeld haben eine sol­che Aus­strah­lung. Das beginnt schon bei den recht­wink­li­gen oder gerad­li­ni­gen Struk­tu­ren, die wir aus dem All­tag gewohnt sind, die aber im Wald nicht vorkommen.

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