Auf der Jahrespressekonferenz des Sozialverbands VdK Bayern in München nahm sich die bayerische Landesvorsitzende Verena Bentele den bayerischen Koalitionsvertrag vor. Fazit: Soziale
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Sorge ums soziale Bayern
VdK sieht Lücken im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern
Auf der Jahrespressekonferenz des Sozialverbands VdK Bayern in München nahm sich die bayerische Landesvorsitzende Verena Bentele den bayerischen Koalitionsvertrag vor. Fazit: Soziale Themen spielen im Regierungsfahrplan von CSU und Freien Wählern eine untergeordnete Rolle.
Im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern und auch in der Regierungserklärung von Ministerpräsident Markus Söder ist oft vom Glück die Rede, das in Bayern zu Hause sei. VdK-Landesvorsitzende Verena Bentele setzte dem auf der Jahrespressekonferenz des Sozialverbands am 13. Dezember entgegen: „Das Leben im Freistaat wird für viele Menschen auch in den kommenden fünf Jahren nicht weiß-blau und heiter sein. Dagegen sprechen einige Fakten.“ So habe Bayern mit 21,8 Prozent etwa die höchste Altersarmutsgefährdungsquote aller Bundesländer. Bei den Frauen über 65 Jahren seien es sogar 24,5 Prozent, Tendenz steigend.
Bentele kritisierte außerdem die maßgeblich von der CSU geführte aktuelle Bürgergelddebatte. Eine geplante Erhöhung dieser Sozialzahlungen will die CSU trotz steigender Lebenshaltungskosten nicht. „Wenn es um die Beurteilung armer Menschen geht, sendet die wiedergewählte Staatsregierung eher Zeichen der Herablassung und weniger der Hilfsbereitschaft aus. Menschen, die Bürgergeld beziehen, erleben stärker als anderswo ein grundsätzliches Misstrauen.“
Dem Vorwurf der „Leistungsfeindlichkeit“ dieser Sozialleistung widersprach Bentele ebenfalls. „Auch ich unterschreibe den Satz „Arbeit muss sich lohnen“ jederzeit, aber beim VdK bedeutet dieser Satz etwas grundsätzlich anderes. Arbeit lohnt sich dann, wenn sie ordentlich bezahlt wird. Es ist angesichts von 1,1 Millionen Niedriglohn-Beschäftigungsverhältnissen im Freistaat unverständlich, dass sich Bayern immer noch gegen ein Tariftreuegesetz stellt. Eine tarifliche Bezahlung ist die stärkste Garantie für einen guten Lohn und damit für eine wirksame Prävention gegen Altersarmut. Und selbst eine Arbeit zum Mindestlohn garantiert ein höheres Einkommen als der Bezug von Bürgergeld, auch wenn immer wieder etwas anderes behauptet wird.“
Kein Fortschritt für die Nächstenpflege
Auch vermisst Bentele bei der Staatsregierung eine sachliche Auseinandersetzung mit sozialen Themen. „Im Koalitionsvertrag wird Armut in wenigen Sätzen abgehandelt. Die einzig konkrete Gegenmaßnahme soll die finanzielle Unterstützung von Tafeln, Tischen und Bahnhofsmissionen in Bayern sein. Dafür stelle ich der Staatsregierung ein echtes Armutszeugnis aus. Die Menschen an ehrenamtliche Einrichtungen zu verweisen, statt sie aus ihrer Armutssituation zu befreien, sendet genau eine Botschaft: Dieser Staat hat euch aufgegeben. Holt euch eure Almosen ab. Das ist keine strukturelle Armutsbekämpfung.“
Auch sozialpolitische Themen, die eine älter werdende Bevölkerung im Blick hätten, wie Pflege von Angehörigen oder Barrierefreiheit, würden im Koalitionsvertrag bestenfalls gestreift. „Die Förderung von Tages‑, Nacht- und Kurzzeitpflegeplätzen ist kein Thema. Das Wort „Pflegestützpunkt“ sucht man vergeblich. Wenn wir Pech haben, werden also wieder fünf Jahre ins Land ziehen, die der Nächstenpflege keinen echten Fortschritt in Bayern bringen werden. Das ist schade, zumal der ehemalige Pflegeminister Klaus Holetschek uns gegenüber dem Thema eigentlich aufgeschlossen schien“, sagte Bentele.
Zwei Forderungen des VdKs zur Inklusion haben es jedoch in den Koalitionsvertrag geschafft. Ein bayerisches Gehörlosengeld soll eingeführt und eine zentrale bayerische Fachstelle für Barrierefreiheit soll eingerichtet werden.
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„Barrierefreiheit One ist wichtiger als Bavaria One“
Politischer Schlagabtausch bei VdK-Diskussionsrunde in Nürnberg
Die VdK Bayern hat letzte Woche (25. Juli) VertreterInnen der demokratischen Parteien des bayerischen Landtags zur Diskussionsrunde nach Nürnberg geladen. Vor mehr als 2.000 VdK-Mitgliedern lieferten sich die Anwesenden einen Schlagabtausch über soziale Themen – schlecht kam dabei vor allem die Staatsregierung weg.
„Wow“, entfuhr es Moderatorin Caro Matzko, als sie auf die Bühne der Meistersingerhalle in Nürnberg trat und das Publikum begrüßte. 2.200 VdK-Mitglieder waren, wie der Sozialverband mitteilte, aus ganz Bayern angereist, um eine Diskussionsrunde zwischen VertreterInnen der demokratischen Parteien des bayerischen Landtags mitzuverfolgen. Diese 2.200 spendeten dann auch großzügigen Applaus, als zuerst Verena Bentele, VdK-Präsidentin und ‑Landesvorsitzende, das Mikrofon übernahm.
Bentele zeigte sich angriffslustig: „So wenig der bayerische Löwe in den Streichelzoo gehört, so wenig ist der VdK Bayern für seine Samtpfötchen bekannt.“ Sie bedauerte, dass CSU-Ministerpräsident Markus Söder „sich ein Heimspiel in seinem Nürnberger Wahlkreis entgehen lässt.“ Mindestens schade sei das, denn die mehr als 2.000 Menschen im Saal stünden stellvertretend für 790.000 VdK-Mitglieder, also für etwa ebenso viele Wählerinnen und Wähler.
„Bayern muss man sich leisten können“, sagte Bentele weiter. Sie warf der Staatsregierung vor, das Land „reich und schön“ zu rechnen. Armut bleibe dabei wenig sichtbar. „Arme Menschen schämen sich, sie demonstrieren nicht, sie kleben sich nicht fest.“ Sie forderte von den Politikerinnen und Politikern, die sich zur Wahl stellen, konkrete Vorschläge, wie die soziale Talfahrt in Bayern gestoppt werden kann.
Redebeiträge von Scharf, Schulze, Hagen, von Brunn
CSU-Sozialministerin Ulrike Scharf, in Vertretung von Markus Söder, eröffnete daraufhin die Diskussionsrunde. Sie verwies auf die großen sozialpolitischen Anstrengungen der aktuellen Staatsregierung. „Der Sozialhaushalt ist der drittgrößte Posten im Gesamthaushalt“, sagte sie. Doch das soziale Netz könnte in Bayern besser genutzt werden, räumte sie gerade im Hinblick auf Altersarmut ein. Einige Forderungen des VdK begrüßte sie zudem ausdrücklich. Dazu gehören eine volle Angleichung der Mütterrente, eine bessere Anerkennung von Familienpflegezeiten und grundsätzlich eine bessere Absicherung für Kinder. Explizit versprach sie, ein bayerisches Gehörlosengeld einzuführen.
„Bayern kann sich keine weiteren fünf Jahren sozialpolitischen Stillstand leisten“, entgegnete darauf Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Sozialpolitik müsse als „knallharte Wirtschaftspolitik“ verstanden werden, nicht als „nice to have“, wie es bisher der Fall gewesen sei. Die Förderung von Kindern und Jugendlichen gehöre in den Mittelpunkt. Als erste Maßnahme schlug sie ein kostenloses Mittagessen in den Schulen und eine Ausbildungsvergütung für Erzieherinnen und Erzieher vor. Die pflegepolitischen VdK-Forderungen will sie in Bayern mit einer eigenen „Landespflegegesellschaft“ für die häusliche Pflege unterstützen.
Dann sprach FDP-Fraktionsvorsitzender Martin Hagen. Er sieht in Bayern „noch keine soziale Talfahrt, aber große Herausforderungen“. Liberale Sozialpolitik definierte er „als Befähigung von Menschen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen“. Deshalb befürwortete er mehr Kinderbetreuung, um das ungenutzte berufliche Potenzial von Eltern in Bayern zu heben.
Dem stimmte SPD-Fraktionsvorsitzender Florian von Brunn zu. „Die Kita muss beitragsfrei sein.“ Grundsätzlich wolle seine Partei ein bezahlbares Bayern. Würde der Freistaat beispielsweise die Investitionskosten übernehmen, könnte ein Pflegeheimplatz 300 bis 400 Euro günstiger sein, rechnete er vor. Zudem unterstützt er die VdK-Forderung für ein Recht auf einen Tagespflegeplatz.
Ablehnung für Aiwanger
Hubert Aiwanger, stellvertretender Ministerpräsident und Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, forderte darauf Steuerentlastungen für untere Einkommen und die Abschaffung der Erbschaftssteuer. Ein Punkt, den Florian von Brunn allerdings als politischen Enkeltrick bezeichnete. Schließlich müsse das Geld auch reinkommen. Von Brunn plädierte für hohe Steuern für hohe Einkommen und Vermögen. Und Katharina Schulze fügte weitere Einkommensquellen an: die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs und die Einführung einer Kerosinsteuer.
Hubert Aiwanger versuchte es noch einmal und forderte, Pflege wohnortnäher zu organisieren und die Zuständigkeiten „runterzoomen“. Sein Vorschlag, zur Entlastung der häuslichen Pflege Rentnerinnen und Rentner zur Unterstützung heranzuziehen, stieß im Publikum allerdings auf große Ablehnung.
In Sachen Barrierefreiheit zeigten alle Vertreterinnen und Vertreter der Parteien jedoch große Einigkeit. „Ein barrierefreies Leben ist ein besseres Leben. Das muss in die DNS hinein“, sagte Katharina Schulze. Und Verena Bentele schloss mit den der Anspielung auf Markus Söders Weltraumambitionen: „Barrierefreiheit One ist wichtiger als Bavaria One.“
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Zu viel Bürokratie, zu wenige Angebote
VdK-Studie: Pflegende Angehörige in Bayern sind überlastet
Deutlich mehr Unterstützung für pflegende Angehörige ist eine der zentralen VdK-Forderungen im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl. Vor allem weniger Bürokratie und mehr Angebote für die häusliche Pflege seien in Bayern nötig.
Schätzungen der VdK zufolge gibt es in Bayern mehr 900.000 pflegende Angehörige. Diese Pflegeart gehe aber oft auf Kosten der Gesundheit. Wie der Sozialverband gestern (19. Juli) mitteilte, belegt das eine Studie, für die in Bayern 14.000 Menschen befragt wurden.
Mehr als die Hälfte der Befragten fühlen sich gemäß der Studie neben der Pflege durch zusätzliche Schwierigkeiten belastet oder leiden selbst an körperlichen Beschwerden. Etwa 60 Prozent geben an, ihre eigene Gesundheit wegen der Pflegesituation zu vernachlässigen. „Das Dilemma für pflegende Angehörige ist“, sagt VdK-Landesvorsitzende Verena Bentele, „dass sie nicht einfach aus der Pflege aussteigen können. Sie opfern sich auf, um ihre Liebsten zu versorgen. Doch diese Ressource ist nicht unendlich.“
Der Wunsch der pflegenden Angehörigen nach Unterstützung in Bayern sei deshalb berechtigt und groß, bleibe aber häufig unerfüllt. 84 Prozent der Befragten in Bayern können laut VdK den Entlastungsbetrag von monatlich 125 Euro nicht nutzen, obwohl er ihnen zusteht. Das seien vier Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Die Gründe sind für Verena Bentele klar. „Die Hürden beim Entlastungsbetrag sind in Bayern im Ländervergleich besonders hoch. Kaum eine Privatperson will sich dem in Bayern geforderten Prozedere unterziehen, um einfache hauswirtschaftliche Leistungen wie Putzen, Wäsche bügeln oder Einkäufe erledigen anbieten und abrechnen zu dürfen. So bleibt das Geld einfach bei der Pflegeversicherung liegen und den Familien wird die ihnen zustehende Entlastung vorenthalten.“
Der VdK Bayern fordert darum weniger Bürokratie, mehr Angebote und eine bessere Beratung vor Ort. „Pflege ist Daseinsvorsorge“, sagt Bentele. „Da ist der Staat in der Pflicht. Doch noch immer fehlen in vielen Landkreisen Pflegestützpunkte. Hier vermissen wir in vielen Regionen das Engagement der politisch Verantwortlichen. Tages- und Kurzzeitpflegeplätze müssen von der Staatsregierung und den Kommunen viel stärker mitfinanziert werden.“