Im vollbesetzten Hegelsaal der Konzert- und Kongresshalle fand Ende Oktober die offizielle Verleihung des Kultur-Förderpreises der Stadt Bamberg statt. Der mit 6.000
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Erzbischöfliches Ordinariat
Hauptabteilungsleiterin Dr. Birgit Kastner im Interview
Seit November ist Dr. Birgit Kastner die neue Ordinariatsrätin und Hauptabteilungsleiterin Kunst und Kultur des Erzbischöflichen Ordinariats Bamberg. Die Kunsthistorikerin kennt die Strukturen des Dombergs aus ihrer Zeit als Dombergkoordinatorin von 2013 bis 2016 bestens. Wir haben mit ihr über Kirche und Kunst gesprochen.
Dr. Kastner, worin bestehen Ihre Aufgaben als neue Ordinariatsrätin und Hauptabteilungsleiterin Kunst und Kultur?
Birgit Kastner: Als Hauptabteilungsleiterin Kunst und Kultur unterstehen mir das Diözesanmuseum, die Domtouristik, die Kunstdenkmalpflege und die Bibliothek des Metropolitankapitels, das heißt die wissenschaftliche Bibliothek. Als Ordinariatsrätin bin ich Mitglied der Ordinariatskonferenz, dem obersten Entscheidungsgremium des Erzbistums. Spektakulär ist, dass in diesem bisher nur mit Männern besetzten Gremium nun drei Frauen Mitglied sind. Das Erzbistum Bamberg folgt damit dem Anliegen des „Synodalen Wegs“, das heißt des Reformprozesses, der unter anderem die Stärkung der Position der Frau in der katholischen Kirche verfolgt. Das Hauptaugenmerk meiner Stelle liegt seinerseits darauf, die Rolle der katholischen Kirche und des Erzbistums Bamberg in der Gesellschaft präsent zu halten und unser kulturelles Erbe zu bewahren und zu vermitteln.
Was bereitet Ihnen mehr Freude: Die Verwaltungsaufgaben als Ordinariatsrätin oder die kulturelle Arbeit der Hauptabteilungsleiterin?
Birgit Kastner: Beides hat faszinierende Aspekte, die für die Gesamttätigkeit sehr wichtig sind. Der Bereich als Ordinariatsrätin, wo ich an großen Prozessen des Bistums teilhaben kann, ist faszinierend und hat eine große Verantwortung, denn in diesem Bereich habe ich die Möglichkeit, die Rolle von Kunst und Kultur im Erzbistum zu stärken und gestalterisch an Strukturprozessen oder Neuausrichtung mitwirken. Als studierte Kunsthistorikerin liegt mir der tägliche Umgang mit der Kunst und die Erhaltung und Vermittlung von Kulturerbe natürlich besonders am Herzen. Am meisten freue ich mich darauf, Akzente mit zeitgenössischer Kunst zu setzen, Kontakt mit zeitgenössischen Kulturschaffenden zu haben. Ich möchte, dass es einen Dialog gibt zwischen zeitgenössischer Kunst und dem, was wir im Bestand haben, also in Museum und Kirchen.
Sie haben die Stelle seit Anfang November 2020 inne. Wie sieht Ihr Fazit bisher aus?
Birgit Kastner: Als ich die Stelle antrat, war meine erste Amtshandlung, wegen der Corona-Pandemie das Diözesanmuseum schließen zu müssen. Unter Pandemiebedingungen kann man nicht mit herkömmlichen Erwartungen arbeiten, entsprechend schwer ist ein Fazit. Wie der gesamte Kulturbetrieb fahren auch wir auf Sicht.
Wird sich eine Handschrift in der kulturellen Ausrichtung des Erzbistums erkennen lassen? Welche Linien möchten Sie verfolgen?
Birgit Kastner: Mir ist es wesentlich, unser kulturelles Erbe zukunftsfähig zu machen. Das heißt, Kontextualisierung und Resonanzen zu schaffen zwischen dem, was die Kirche aus ihrer mehrere tausend Jahre alten Geschichte mitbringt und dem, was Kirche, Kunst und Kultur heute bedeutet.
Via Lewandowskys letztjährige Installation “Good/God” zwischen den Türmen des Doms hat im wahrsten Sinne des Wortes in die Stadt hineingestrahlt. Planen Sie Ausstellungen in ähnlicher Größenordnung?
Birgit Kastner: Ausstellungen, die mit einem so großen kuratorischen und finanziellen Aufwand einhergehen, sind Ausstellungen, die nicht jedes Jahr stattfinden können. Was ich wegweisend an dieser Ausstellung fand, war der Dialog mit zeitgenössischer Kunst und unserem Sammlungsbestand. Das soll auf alle Fälle wiederholt werden, das gehört zu meinen festen Vorsätzen. Kunst und Kultur des Erzbistums soll nicht nur im Bamberger Diözesanmuseum verortet und sichtbar sein, sondern die Hauptabteilung soll an vielen Stellen sichtbar werden. “Good/God” war ganz signifikant ein Zeichen, das in die Stadt hinaus gestrahlt hat. Wir werden auch in Zukunft den Austausch und den Dialog mit zeitgenössischen Künstlern suchen, auch um über das Erzbistum hinaus sichtbar zu sein.
Wie groß ist die Bereitschaft der zeitgenössischen Kunst, mit der Kirche, die nicht unbedingt für das Zeitgenössische steht, zu kooperieren?
Birgit Kastner: Das halte ich für eine Fehleinschätzung. Sehr viele zeitgenössische Künstler sind bekennende Christen oder arbeiten im sakralen Raum. Zahlreiche documenta-Künstler zum Beispiel oder hier in Bamberg Markus Lüpertz oder Rui Chafes.
Kunst zu erzeugen, ist sehr oft die Auseinandersetzung mit sich selbst und dem eigenen Schicksal – Fragen, die sich aufgrund ihres existenziellen Charakters sehr oft mit Glauben auseinandersetzen.
Gerade im Bereich der sakralen Kunst gibt es sehr viele zeitgenössische Themen wie Kirchenfenster, Kirchenausstattung oder viele prominente Beispiele moderner Kirchenarchitektur. Die Kirche hat eine große Tradition als Auftraggeber für Kunst. Die Verbindung zwischen Kunst und Kirche, die Rolle der Kirche für Kunst und Gesellschaft war für Europa über Jahrhunderte identitätsstiftend. An diese Rolle gilt es anzuknüpfen.
Was ist kulturell in der Hauptabteilung Kunst und Kultur für 2021 geplant?
Birgit Kastner: Wir werden 2021 keine neuen Ausstellungen haben. Wir werden die Zäsur der personellen Neuaufstellung und der Schließungen zur Neukonzeption nutzen. Ich stelle mich zusammen mit meinen Abteilungsleitungen neu auf. Wir arbeiten intensiv daran, alternative Möglichkeiten der Kunst- und Kulturbegegnung zu schaffen, das ist unser Hauptaugenmerk. Zum Beispiel entwickeln und erweitern wir unsere digitalen Angebote. Wir prüfen, was wir online umsetzen können. Als Hauptabteilungsleiterin Kunst und Kultur bin ich auch für das Heinrichsfest verantwortlich – dabei fragen wir uns, wie wir dieses Format in die Zukunft bringen oder es pandemietauglich machen können.
The show must go on
R.I.O.! Rock in Oberfranken sucht Bands
Das R.I.O.! Rock in Oberfranken-Festival findet statt, wie der Bezirk Oberfranken mitteilt, aber dieses Jahr coronabedingt anders als sonst. Musikerinnen und Musiker aus den Sparten der populären Musik können sich mit Ton- und/oder Videomaterial noch bis zum 31. Januar bewerben.
Bezirkstagspräsident Henry Schramm ruft zur Teilnahme auf: „Das Bandförderungsprojekt R.I.O.! wurde im Jahr 2002 vom Bezirk Oberfranken ins Leben gerufen. Seitdem bekommen oberfränkische Nachwuchsbands die Chance, sich vor einem großen Publikum zu präsentieren und sich zu vernetzen. Bewerben lohnt sich, denn neben einer umfassenden Betreuung, professionellen Workshops und Promotion erhalten die Finalbands eine Tourgage in Höhe von 1.000 Euro. Die Siegerband gewinnt zusätzlich 1.000 Euro Preisgeld.“
Da die Live-Vorentscheide leider ausfallen müssen, entscheidet für jede Region eine jeweilige Jury, welche Künstlerinnen und Künstler sich auf der Bühne präsentieren können. Sofern es die Corona-Pandemie zulässt, findet die R.I.O.!-Clubtour 2021 mit den vier Finalbands im Sommer bei freiem Eintritt statt. Bei den Konzerten stimmt das Publikum für ihre Lieblingsband ab und am Ende wird schließlich die „Oberfrankens Band des Jahres“ gekürt. Der Tourzeitraum der fünf Konzerte in Oberfranken wird noch bekannt gegeben. Möglichweise wird die Clubtour auf oberfränkische Freilichtbühnen verlegt.
Bewerbungen bis Ende Januar möglich
„Bands und Künstler sollten sich von der aktuellen Situation um Corona nicht von der Bewerbung abhalten lassen. Je nachdem, wie sich die Pandemie entwickelt, könnte R.I.O.! eine der ersten Möglichkeiten sein, wieder live aufzutreten”, so Samuel Rauch, Popularmusikbeauftragter des Bezirks Oberfranken.
Bewerbungen mit drei Songs, Bandinformation, Fotos und Anmeldeformular sind noch bis zum 31. Januar möglich. Mindestens die Hälfte der Bandmitglieder muss ihren Hauptwohnsitz im Regierungsbezirk Oberfranken haben. Coverbands sind nicht zugelassen.
Nähere Informationen und das Teilnahmeformular zum R.I.O.!-Festival finden sich auf der Homepage des Bezirks unter https://www.bezirk-oberfranken.de/bildung-und-jugend/rock-in-oberfranken/
Kulturentwicklungsplanung bekommt neuen Schwung
Bamberger Stadtrat beschließt Kulturkommission
Der Bamberger Stadtrat hat in der gestrigen Vollsitzung einstimmig der Einrichtung und Besetzung einer Kulturkommission zugestimmt, wie die Stadt Bamberg mitteilt. Die Kulturkommission als sachverständiges Begleitgremium der Kulturentwicklungsplanung, besetzt mit sieben politischen Vertretern und sieben externen Kultursachverständigen, bildet zum Auftakt eine der zwei Diskursgruppen zur konsensuellen Erarbeitung des „Kulturkonzepts 2025“ auf Basis des Grundlagenberichts.
Eine zweite begleitende Diskursgruppe besteht aus der Leitungsebene der städtischen und städtisch mitfinanzierten sowie staatlichen Kulturbetriebe in Bamberg. „Somit ist gewährleistet, dass alle relevanten Ansprechpartner*innen in die Diskussion und Ausgestaltung des Strategiepapiers „Kulturkonzept 2025“ eingebunden werden“, zeigte sich Kulturreferentin Ulrike Siebenhaar überzeugt.
In der letzten Sitzung des Kultursenats im Oktober 2020 war bereits grundsätzlich der Einrichtung einer Kulturkommission zugestimmt worden. Die Kulturkommission ist ein wichtiges methodisches Werkzeug in Sachen Kulturentwicklungsplanung. Die Kommission wird temporär zur Begleitung der Kulturentwicklungsplanung bis zur Fertigstellung des „Kulturkonzept 2025” eingerichtet. Gemeinsam wird der Grundlagenbericht zum Kulturentwicklungsplan von den Kommissionsmitgliedern spartenübergreifend systematisch aufgearbeitet, diskutiert und bewertet, um daraus das „Kulturkonzept 2025” zu entwickeln.
Bereits im ersten Schritt – bei der Erstellung des Grundlagenberichts – wurden Kulturschaffende aus den verschiedensten Bereichen, wie Literatur, Musik, Theater, Freie Szene, Junge Kultur et cetera im Rahmen von Interviews, Workshops und offenen Bürgerlaborformaten eingebunden und gebeten, ihre Einschätzung des Kulturlebens – Status Quo, Stärken, Schwächen, Ziele, Wünsche – abzugeben. Der fertiggestellte Grundlagenbericht wird mehrere Ergebnisse methodischer Ansätze zusammenfassen. Er erhebt keine Einzelperspektiven oder Spartenergebnisse mehr. Diese Abfragen sind bereits in Form von rund 30 qualitativen Interviews geschehen.
Die Kulturkommission soll als wichtiges Strukturelement die Kulturentwicklungsplanung bei den weiteren Schritten unterstützen. Für die Kommission wurden Persönlichkeiten aus dem Kulturleben gesucht, die neben ihren jeweiligen Steckenpferden Wissen, Information, Zeit und Interesse für die „Meta-Ebene“ mitbringen. „Dabei ist es besonders wichtig, dass die Mitglieder nicht nur ihren jeweiligen Bereich bewerten und vertreten, sondern unabhängig davon die übergeordneten Interessen aller Kulturinteressierten in unserer Stadt“, betonte Siebenhaar.
Die Erstellung eines Kulturentwicklungsplans für Bamberg wurde im Juli 2014 beschlossen.
Besetzung der Kulturkommission
Externe Sachverständige:
Roni (Oliver Braun), Charles Bukowski Gesellschaft
David Saam, Musiker, Musikethnologe, Radiomoderator
Marianne Benz, Jazz-Club Bamberg
Heidi Lehnert, Chapeau Claque, Schauspielerin, Regisseurin
Barbara Kahle, Vorsitzende des Kunstvereins
Renate Schlipf, Verein machbar und Kontakt
Gerrit Zachrich, Kinobetreiber
Politische Vertreter:
Grünes Bamberg, Vera Mamerow (Vertretung: Michi Schmitt)
CSU – BA, Stefan Kuhn (Vertretung: Dr. Christian Lange
SPD, Wolfgang Metzner (Vertretung: Klaus Stieringer)
BBB, Norbert Tscherner (Vertretung: Andreas Triffo)
FW-BUB-FDP, Claudia John (Vertretung: Martin Pöhner)
BaLi – Die PARTEI, Stephan Kettner (Vertretung: Fabian Dörner)
ÖDP-BM-Volt, Dr. Hans-Günter Brünker (Vertretung: Lucas Büchner)
Extrameile für Kunst
Spendenempfänger des Benefizlaufs stehen fest
Mit dem Benefizlauf „#extrameilefuerkunst“ am 31. Dezember vergangenen Jahres organisierte der Stadtverband für Sport einen besonderen Jahresabschluss. Sportlerinnen und Sportler waren aufgerufen, die Laufschuhe zu schnüren und möglichst viele Kilometer zu laufen. Jetzt stehen die Kunst- und Kulturschaffenden, die sich auf Spenden aus dem Benefizlauf freuen können, fest.
Die unter der Leitung von Wolfgang Reichmann, erster Vorsitzender des Stadtverbandes für Sport, zusammengestellte Jury hat sich für folgende Kulturschaffende entschieden: Die Kulturfabrik (Kultur- und Kunstprogramme gemeinsam mit Menschen mit Handicap zur Integrations- und Kulturarbeit), Nevfel Cumart (Schriftsteller, Referent, Übersetzer, Journalist, Literaturlesungen unter anderem auch in Schulen), Stephan Bach (Schauspieler und Mitglied im Theater im Gärtnerviertel), Nina Lorenz (mit dem Theater im Gärtnerviertel bietet sie Kultur auf höchstem Niveau), Gerrit Zachrich (seit 20 Jahren Leitung des Odeon- und Lichtspielkinos mit Filmen auf hohem Niveau), Martin Neubauer (als Soloselbstständiger Leiter des Brentano-Theaters), Werner Kohn (Fotograf, in zahlreichen Bamberg-Büchern vertreten), Dirk Bayer (Theaterpädagoge, Erziehungsarbeit vor allem in Schulen), Michael Cleff III. (Maler, hat sich vor allem durch Portraits einen Namen gemacht). Jeder von ihnen darf sich über 1.000 Euro freuen.
Erwartungen wurden bei Weitem übertroffen
Wolfgang Reichmann: „Mit dieser Summe soll den von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffenen Künstlern zumindest ein bisschen geholfen werden. Und das zu Recht, denn durch die Pandemie ist die Existenz vieler Selbstständiger in großer Gefahr. Zudem konnten wir den Sportsgeist wecken, vor allem nach den „gewichtsträchtigen“ Feiertagen um Weihnachten. Allerdings bitte ich – auch im Namen der gesamten Jury – um Nachsicht, dass nicht alle, die wir auf dem Zettel hatten und die durchaus eine Unterstützung benötigt hätten, zum Zuge kommen konnten.“ Der Jury gehörten neben dem ersten Vorsitzenden des Stadtverbandes folgende Personen an: der Dritte Bürgermeister der Stadt Bamberg Wolfgang Metzner, die städtische Referentin für Kultur und Welterbe Ulrike Siebenhaar, Carmen Eberhardt vom Hauptgeldgeber und Automobilzulieferer Brose sowie Wolfgang Heyder, Veranstaltungsmanager und Sportfunktionär. Nachdem Wolfgang Reichmann die frohe Kunde an die Empfänger der Spende übermittelte, wurde der ehemalige Lehrer von den liebevoll und zum Teil euphorisch verfassten Reaktionen förmlich überwältigt. „Wir haben mit dem Spendenlauf, das ist ganz deutlich geworden, voll ins Schwarze getroffen. So war es für die vielen Läuferinnen und Läufer, die Sponsoren und die Helfenden vom Stadtverband und von unserem Kooperationspartner FC Eintracht Bamberg eine Win-Win-Situation.“
Das große Ziel des Laufes war eine Gesamtlaufstrecke von 5.000 Kilometern gewesen. Es hatte vor dem Lauf geheißen, wenn diese Marke erreicht werde, spende der Automobilzulieferer Brose 5.000 Euro. Zudem stellte die Metzgerei Böhnlein aus Bamberg spontan am Lauftag 3.000 Euro und der Wirtschaftsclub Bamberg als Laufpate 1.000 Euro zur Verfügung. Das Endergebnis übertraf alle Erwartungen bei Weitem. Zum Zeitpunkt der finalen Ergebnisermittlung am Neujahrsabend notierten die Zähler 13.849,05 Kilometer mit 1.160 Teilnehmenden.
Das Jahr im Schnelldurchlauf
9 Fragen, 9 Antworten mit Arno Schimmelpfennig
Arno S. Schimmelpfennig ist selbständig im Bereich der Filmproduktion, in der Kultur engagiert und Vorstandsmitglied im Stadtmarketing Bamberg. Heute lassen wir ihn in der Serie „Das Jahr im Schnelldurchlauf” auf 2020 zurückblicken und einen Ausblick in das kommende Jahr wagen.
Herr Schimmelpfennig, das Jahr 2020 war geprägt von der Corona-Pandemie. Wenn sie so kurz vor dem Jahreswechsel zurückblicken: Was nehmen Sie als Fazit aus diesem Jahr mit?
Ich habe das Jahr 2020 sehr bewegend erlebt; aus einer ganzen Bandbreite an Perspektiven heraus. Auf der einen Seite hat sich beruflich sehr viel getan, wodurch auch neue Türen aufgegangen sind. Privat bin ich zum dritten Mal Vater geworden – ausgerechnet im Krisenjahr mit nicht durchgehend laufenden Schulen und Kindergärten für die anderen beiden Kinder. Auf der anderen Seite war ich in diesem Jahr sehr nahe an Existenzängsten und Krisen dran, die enge Bekannte von mir erlebt haben. Ganz zu schweigen von den Corona-Fällen bei Bekannten sowie im näheren Umkreis, die mich beschäftigt haben. Es gab Erlebnisse, in denen sich Menschen neue Berufsbereiche suchen mussten, psychisch kollabiert sind und auch körperlich nicht mehr konnten. Es gab aber auch die Gewinner. Wenn ich ein Fazit aus all diesen Geschichten und Schicksalsschlägen ziehen müsste, dann wäre das: „Sei kreativ! Nutze dein Können und versuche, es im Sinne der neuen Nachfrage zu erweitern oder neu zu strukturieren.“ Das geht natürlich nur in Bereichen, die nicht von Auflagen gebeutelt werden. Mir ist allgemein aber aufgefallen, dass gerade auch viele Selbstständige Schwierigkeiten hatten, weil sie eben nicht bereit waren, umzudenken.Was war das Schlimmste für Sie an diesem Jahr?
Ich habe stets versucht, die Hoffnung nicht sinken zu lassen. Ich habe in diesem Jahr einen Kultur-Blog aufgebaut. Ich habe ein zweites Projekt begonnen, bei dem ich Kulturschaffende auf ein 30-Minuten Interview einlade und deren Geschichten und Erlebnisse direkt in Bamberg einfange. Ich konnte ein drittes Projekt ausbauen, bei dem wir Prominente nach deren Lebenswegen fragen und sie ohne deren Rolle und Fassade interviewen. Gleichzeitig war 2020 mein erstes Jahr als Vorstandsmitglied im Bamberger Stadtmarketing. In Gesprächen und in Workshops war ich sehr nahe an den Auswirkungen der beiden Lockdowns auf unseren Einzelhandel dran. Wenn ich höre, dass gestandene Unternehmen nicht mehr existieren können, wenn ich von über 400 Insolvenzen in unserer Stadt erfahre und persönliche Schicksale anschaue, bei denen Menschen fast ein Jahr lang von unserer Politik hängen gelassen werden und daher nicht mehr ein und aus wissen, dann schwingt hier eine Mischung aus Galgenhumor, Ratlosigkeit und Entsetzen mit. Das Schlimmste für mich war diese Hilflosigkeit und die Verwirrung, die durch die undurchsichtigen und sich widersprechenden Angaben entstanden sind. Schlimm ist, was das nicht nur für wirtschaftliche Folgen hinterlässt, sondern auch psychische. Wenn liebevolle Menschen schwer krank werden oder gar sterben, wenn die Anzahl an häuslicher Gewalt dramatisch wächst und die Schwangere ohne ihren Mann und mit Mund-Nasen-Schutz gebären muss, dann ist das nicht die Welt, in der ich leben will. Zwar habe ich versucht, mit meinen Projekten anderen Menschen Hoffnung zu machen, doch irgendwann war es genug, auf Schultern zu klopfen. Ich habe deutlich gespürt, wie den Menschen der Atem ausgeht – und das meine ich nicht aufgrund einer Covid19-Erkrankung. Die Welt wird radikaler; Gewalt nimmt zu – wir sehen sie im Internet und Fernsehen.Wenn Ihnen vor dem Lockdown im Frühjahr gesagt worden wäre wie sich die Situation zum Ende des Jahres darstellt, wann und wie hätten Sie seitdem anders gehandelt als Sie es getan haben?
Ich habe in diesem Jahr neue Projekte begonnen, ich bin aber auch in neue Vereine eingetreten. Wer mich kennt, weiß, dass ich Dinge nur dann angehe, wenn ich mich hier vollauf einbringen kann. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich die Vereinsfreunde in diesem Jahr wegen einer dichten Auftragslage und privater Veränderungen nicht unterstützen konnte. Eine Krise kann allgemein auch eine Chance sein – denn wenn es uns nicht gut geht, sind wir gezwungen, umzudenken. Krisen können uns beflügeln und innovativ machen. Deutschland ging es Jahrzehnte gut. Da gab es kaum Notwendigkeit, neue Wege zu beschreiten. Ich selbst sehe 2020 für mich als große Chance an. Zwar war es ein insgesamt sehr stressiges Jahr, das auch bei mir gerade auch persönlich Spuren hinterlassen hat in Bezug auf körperliche Stresssymptome, es war aber zugleich ein Jahr, das mich unheimlich weitergebracht hat. Ich kann daher nicht sagen, dass ich im Rückblick etwas anders machen würde.Wenn Sie eine positive Sache aus diesem Jahr herausstellen möchten, welche wäre das?
Sei es im Stadtmarketing, oder auch als Mitglied der Wirtschaftsjunioren oder des Wirtschaftsclubs: überall gab es in diesem Jahr Entwicklung. In der Veranstaltungsbranche haben wir neue Formate entwickelt, wie die Hybrid-Veranstaltungen. Mit unseren Kultur-Projekten haben wir Konzerte, Unterhaltung, Web-TV und teils sogar Museumsbesuche auf ein anderes Level gehoben. Es gibt nun Online-Portale, die uns helfen, regional einzukaufen. Selbst der Handel sieht Internet nicht mehr als Gefahr, sondern auch als Chance. Serviceleistungen haben sich hier angepasst, Online-Shops sind entstanden und wir haben bei zahlreichen Geschäften die Möglichkeit, unter den Vorzügen des Internets gemütlich vom Sofa aus zu bestellen und uns vom Geschäft vor Ort beliefern zu lassen. Unsere Arbeit wurde effizienter, Wege kleiner und unnötige Hürden teils abgebaut. Die Digitalisierung hat Einzug gefunden – auch wenn hier immer noch immens viel zu tun ist. Obwohl wir uns physisch voneinander entfernt haben, so gab es in der virtuellen Welt und im Sinne der Globalisierung einen deutlichen Ruck aufeinander zu.Auch Weihnachten wird für die meisten Menschen anders stattfinden als in den Jahren zuvor. Wie verbringen Sie das Fest?
Vom Stadtmarketing aus hatten wir es in dem Jahr schwer, unsere Aktion „Weihnachtsbeleuchtung“ voran zu bringen. Die Kosten konnten nicht wie üblich verteilt werden. Letztlich haben sich hier Sponsoren gefunden. Unsere Bemühungen, einen Brücken-Weihnachtsmarkt zu etablieren, verliefen sich ebenfalls. Oft, indem Corona einfach als Argument, nicht aber als Grund vorgebracht wurde. Hierbei ist mir frühzeitig aufgefallen, dass Weihnachten als Erlebnis schwierig wird. In Kombination mit Einzelschicksalen im Bekanntenkreis, bei denen Menschen insolvent geworden oder gar verstorben sind, denke ich mir nun mit einem weinenden Auge, dass es in 2020 nicht für jeden einen Weihnachtsbaum geben wird. Auf der einen Seite ist das traurig, auf der anderen Seite wird Weihnachten nun zu etwas mehr Spirituellem und rückt damit wieder ein wenig mehr zum Ursprung zurück. Dadurch, dass wir unsere Familien nicht so sehen können, wie wir es gerne täten, können wir uns zugleich darauf besinnen, um was es an Weihnachten eigentlich wirklich geht. Der Mensch sieht erst im Mangel, was ihm wirklich etwas bedeutet. Wir können einen Moment innehalten. Ich selbst werde am 24.12. meine Türen schließen. Wir werden daheim Spiele machen und eine Mutmach-Dusche. Dabei setzen sich meine Frau und ich mit unseren Kindern zusammen und sagen dem anderen jeweils, was wir an ihm /ihr besonders schätzen. Dann werden wir über Fernsehen den Gottesdienst verfolgen und uns danach beschenken. Dazwischen wird es verschiedene Speisen geben. Wie wir die beiden Weihnachtsfeiertage nach dem Heiligabend verbringen, steht leider immer noch nicht fest.Aufgrund der Erfahrungen in diesem Jahr: Wie verändert sich der private Arno Schimmelpfennig und wie seine Arbeitsweise für die Zukunft?
Ich bin seit 10 Jahren selbstständig. Ich habe ein Büro, fahre ein Auto und habe eine Frau sowie drei Kinder. Trotzdem hatte ich ständig Ängste, dass ich uns als Alleinverdienender nicht ernähren kann. 2020 hat mir gezeigt, dass ich Krisen bewältigen kann, wenn ich den Mut nicht sinken lasse. Ich denke, ich werde aus der Krise selbstbewusster hervorgehen und eher Grenzen ziehen, wenn etwas nicht zu mir passen will. Beruflich habe ich es in diesem Jahr gemerkt, dass ich mich mehr auf mich selbst konzentrieren will. Ich bin Dienstleister und helfe meinen Kunden dabei, ihre Ziele zu erreichen. Ich habe aber auch gemerkt, dass es Menschen gibt, die einem dabei helfen, Mutmach-Projekte aufzubauen und auch zu finanzieren. Insofern möchte ich gerne meinen eigenen Ideen mehr Platz geben, kreativer arbeiten und in regelmäßigen Abständen eigene Projekte realisieren. Ich habe gemerkt, dass ich ein aktives und großes Netzwerk habe, in dem Arbeit Spaß macht und in dem ich etwas erreichen kann. Dieses Netzwerk will ich intensivieren.Was bereitet Ihnen Sorgen im Hinblick auf das neue Jahr?
Der Start ins neue Jahr dürfte hart werden. Ich halte es für gut möglich, dass der Lockdown erweitert wird. Ich schieße weitere Maßnahmen nicht aus. Meine Sorge ist, dass es noch viel mehr Insolvenzen geben wird und die Zahlkraft vieler Unternehmen gering ist. Ich befürchte, dass weniger Geld im Umlauf sein wird, was dazu führen wird, dass es zu einer wirtschaftlichen Regression kommt – gerade im Bereich der Werbung. Werbung schalten sollte man, wenn es einem weniger gut geht – also jetzt. Doch die Existenzangst lähmt und macht unsicher. Da haben es Anbieter aus meinem Bereich derzeit schwierig.Welche Wünsche haben Sie für das neue Jahr?
Ich wünsche den Menschen Gesundheit. Ich wünsche ihnen, dass sie den Mut nicht sinken lassen. Wenn wir offen sind für Neues und keine Angst davor haben, Neues zu wagen, können wir Krisen leichter bewältigen. Ich wünsche den Menschen, dass sie den Blick nach vorne nicht verlieren. Mögen wir uns auf der anderen Seite finden und gemeinsam Hand in Hand nach vorne gehen, anstatt mit dem Blick in entgegengesetzte Richtungen.Was macht Ihnen Mut für das neue Jahr?
2020 lief für mich wirklich gut. Das ist dem Umstand geschuldet, dass ich zweigleisig unterwegs bin und zum Glück nicht vom Film alleine leben musste. Viele Unternehmen haben sich digitalisiert und dabei auf meine Beratung und Leistung gebaut. Trotzdem bin ich gerade an einem Punkt, an dem ich den zweiten Lockdown einschneidend empfinde. Es gibt zu viele Kollegen, denen es nach dem 1. Lockdown nicht mehr gut ging, die nicht wussten, wie sie ihre Versicherung zahlen sollen. Jetzt im 2. Lockdown geht es nicht mehr um die Bezahlung von Miete und Versicherung, sondern um die Existenz und die Fähigkeit, ihre Familie ernähren zu können. Das zieht mich herunter. Es ist schwierig, in diesen Zeit mit Mut ins neue Jahr zu starten. Ich glaube, es ist ein gewisser Galgenhumor, den ich mir mit meinen Wegbegleitern teilen kann. Es ist die Gemeinschaft von Menschen, die so denken wie ich; mit denen ich mich austauschen kann. Es sind meine Projekte, die ich mit neuen Freunden weiterführen und ausbauen werde. Es ist sogar ein wenig die Ungewissheit, was 2021 bringen wird. Denn das beflügelt mich. Mit einem stark zwinkernden Auge würde ich vielleicht sagen: Mit Beginn 2021 hört der Virus auf, da er an 2020 gebunden ist. Und wenn das nicht klappt, gibt es ja immer noch die Impfung.- Autor: Manuel Werner
- Foto: www.claus-riegl.de
Start in die sechste Runde
Auch 2021 wird es wieder ein Bamberger Literaturfestival geben
Mit der besonderen Situation, die durch die COVID-19-Pandemie entstanden ist, gingen viele Veranstaltungsabsagen und Verschiebungen einher. Dennoch blicken die Veranstalter des Bamberger Literaturfestivals optimistisch in die Zukunft und freuen sich auf das BamLit2021, welches im kommenden Jahr nicht wie gewohnt im Februar, sondern im April und Mai stattfinden wird.
„Wir verlegen das Bamberger Literaturfestival im kommenden Jahr ins Frühjahr und hoffen weiterhin, dass sich die Lage bis dahin langsam normalisiert hat. Wir planen selbstverständlich mit der Abstandsvariante und einem eigens für die Veranstaltungsorte ausgearbeiteten Hygienekonzept“, erklärt Wolfgang Heyder.
Im Rahmen des 6 . Bamberger Literaturfestivals werden vom 20. April bis 15. Mai kommenden Jahres 26 Lesungen in Stadt und Landkreis Bamberg stattfinden. Außerdem werden kostenlose Kinderlesungen angeboten.
Nachdem in diesem Jahr für die Organisation der Veranstaltungen besonders viel Fingerspitzengefühl und Flexibilität gefragt war, zeigen sich die Verantwortlichen stolz, dass ihre Bemühungen belohnt wurden und sie das Programm auch für 2021 erneut mit erstklassigen Autorinnen und Autoren füllen konnten. Neben bekannten Größen wie Michel Friedman, Daniel Kehlmann, Mark Benecke oder Sven Regener werden auch die Bamberger Urgesteine Paul Maar und die Schirmherren Tanja Kinkel und Nevfel Cumart erneut mit dabei sein. Eine besondere Lesung wird auch der lokal bekannte Hausherr von Schloss Eyrichshof, Debütautor Hermann von Rotenhan, halten.
„Bücher und Autoren sind systemrelevant“
Auch die Beteiligten bleiben optimistisch: „Anstrengende Zeiten und gesellschaftliche Herausforderungen liegen hinter uns. Auch die nächsten Monate werden eine Zeit des Rückzugs, soziale Kontakte müssen eingeschränkt werden, um uns und unsere Lieben zu schützen. Gerade jetzt sind uns Bücher eine Zuflucht und Seelenfutter. Ich finde es grandios, dass das BamLit auch 2021 stattfinden kann und freue mich wieder unglaublich auf tolle Begegnungen und darauf, „meine“ Autorinnen und Autoren live erleben zu können! Literatur muss gelebt werden und BamLit ist für mich eine wunderbare Gelegenheit, meine Liebe zum Buch mit anderen Menschen zu teilen“, so Asli Heinzel, die unter anderem für die Autorenbetreuung zuständig ist.
Schirmherrin Tanja Kinkel ist sich sicher: „Bücher und Autoren sind systemrelevant. Mit dem BamLit 2021 feiern wir beide! Autoren zum BamLit einzuladen, das bedeutet, sich selbst zu beschenken. Jeder Tag dieses Festivals ist wie Weihnachten und Ostern zusammen.“
Und wer sich rechtzeitig vor Weihnachten Tickets sichern möchte – diese gibt es ab dem morgigen Samstag um 9 Uhr an allen bekannten Vorverkaufsstellen, in allen gängigen Vorverkaufssystemen, telefonisch unter der Hotline 0951 – 23837 oder unter http://www.kartenkiosk-bamberg.de
Der Blick auf die vergangenen Jahre zeigt, man sollte schnell damit sein, sich „seine” Lesungen auszusuchen. Weitere Informationen zum Programm sind zu finden unter http://www.bamlit.de
Systemrelevanz der Kultur
„Für viele Freiberufliche ist die Corona-Pandemie zur Existenzfrage geworden“
Martina Hümmer ist Sopranistin mit klassischem Repertoire und Gesangspädagogin an der Kreismusikschule Bamberg. Wie so viele andere Kulturschaffende auch, hadert sie mit den erneuten harten Beschränkungen, die dem Kulturbetrieb im Zuge des zweiten Lockdowns auferlegt wurden. Wir haben mit ihr über die Systemrelevanz der Kultur, den Zustand der Bamberger kulturellen Szene und die jüngsten kulturpolitischen Entscheidungen des Rathauses gesprochen.
Frau Hümmer, warum ist Kultur systemrelevant?
Martina Hümmer: Wir brauchen Kultur. Sie ist für Menschen unverzichtbar, begleitet uns von Kindesbeinen an, prägt, formt, erfreut, tröstet und bildet uns. Sie macht unser Menschsein aus.
Richard von Weizsäcker sagte: „Kultur ist kein Luxus, den wir uns entweder leisten oder nach Belieben auch streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere innere Überlebensfähigkeit sichert.“ Dem stimme ich absolut zu, denn Kultur ist existentieller Bestandteil unserer Gesellschaft, weil sie von Menschen für Menschen geschaffen wird. Wir wissen in der aktuellen Zeit der Corona-Pandemie nicht, wann wir wieder arbeiten dürfen, aber ich bewahre mir dennoch ein positives Denken, überzeugt davon, dass Musik und Kunst wesentliche Rettungsanker sind.
Die Beschlüsse des aktuellen Lockdowns sehen unter anderem vor, freien Kulturschaffenden 75 Prozent ihres Einkommens aus dem November 2019 oder 75 Prozent des durchschnittlichen Einkommens von 2019 zu erstatten. Was halten Sie davon?
Martina Hümmer: Das wäre ein guter Anfang, um vielen freiberuflichen Künstler*innen vor Existenznot zu helfen.
Welche Botschaft sendet die erneute Stilllegung des Kulturbetriebs trotz all der Bemühungen der zurückliegenden Monate, wie dem Ausarbeiten von Hygienekonzepten, um zumindest einen reduzierten Betrieb aufrechterhalten zu können, und den relativ geringen Infektionszahlen im kulturellen Bereich, an die Kultur aus?
Martina Hümmer: Es ist nun einmal so, dass in Kulturveranstaltungen wie Konzerten, viele Menschen zusammen kommen. Trotz all der guten Konzepte, basierend auf den seit langer Zeit kontinuierlich propagierten Maßnahmen explodieren die Infektionszahlen, füllen sich die Intensivbetten, kapitulieren die Gesundheitsämter und erschweren die derzeit einzige Möglichkeit der Pandemiebekämpfung, der Kontaktnachverfolgung, oder machen diese schlicht zunehmend unmöglich. Das derzeit kaum mehr kontrollierbare Infektionsgeschehen verwehrt eine klare Separierung eindeutig zuzuweisender Verbreitungsorte.
Zudem dürfen in diesem Kontext auch die Anfahrts‑, Garderoben- und Pausenmomente nicht außer Acht gelassen werden, wo die gutgemeinten Konzeptkriterien schnell mal zumindest teilweise in Vergessenheit geraten, um sich dann nach der Pause wieder unter Beachtung von Abstand und dergleichen in den Konzertsälen einzufinden. Leider habe ich selbst vielerorts solche Beobachtungen in Opern, Konzertsälen und Kirchen gemacht. Die Politik tut hoffentlich das Richtige. Ich staune, wie viele Leute sich Urteile anmaßen, obwohl sie die Zusammenhänge nicht kennen oder je nach Kontext einfach mal ausblenden.
Die Haushaltsplanungen der Stadt Bamberg sehen eine Kürzung der Finanzmittel für die freie Kulturszene um 25 Prozent vor. Hätten Sie, auch im Angesicht von 40 Millionen Euro städtischer Schulden und Auflagen der Regierung von Oberfranken zum Schuldenabbau, Verständnis für diese Entscheidung?
Martina Hümmer: Ich finde, gerade für Bamberg als Kulturstadt sollten Kunst und Musik wesentlich sein. Jedes Theater oder Konzertereignis ist ein kultureller Raum des Erlebens, der Orientierung und Erkennens der Welt aus neuen Perspektiven, den wir heute mehr denn sonst brauchen. Die Weitergabe des Könnens und Wissen dieses immateriellen Kulturerbes gestaltet unsere Zukunft mit. Künstler*innen sind lebendige Kulturakteurinnen und ‑akteure in ihrer Region und tragen damit nicht nur wesentlich zur lokalen und regionalen Identitätsbildung bei, sondern sind eine Kraftquelle der Integration. Ich glaube nicht, dass man mit Kürzungen im Kulturbereich einen Haushalt sanieren kann. Kultur ist nicht nur ein Standortfaktor, sondern Ausdruck von Identität. Daran werden wir gemessen. Unsere einzigartige Kulturlandschaft eventuellen Einsparungen zu opfern, wäre ein zweiter, unbedingt zu vermeidender Sieg des Virus.
Können Sie einschätzen, in welchem wirtschaftlichen Zustand sich die Bamberger kulturelle Szene befindet? Und herrscht noch Optimismus, irgendwann wieder wie vor der Pandemie arbeiten und wirtschaften zu können, oder hat sich bereits Resignation eingestellt?
Martina Hümmer: Für viele freiberufliche Künstler*innen und freien Kultureinrichtungen sind die Folgen der Corona-Pandemie zur Existenzfrage geworden. Auch für Laienmusiker*innen und Ensembles wird die Krise eine große Herausforderung sein. Kultur kann Leben verändern. Ich bin voller Hoffnung und es besteht seit März bei mir uneingeschränkter Optimismus, gestärkt durch diese Krise zu kommen und wieder wie zuvor arbeiten zu können.
Eine positive Lebenseinstellung ist für mich als Künstlerin und auch als Pädagogin sehr wichtig, denn, um den heiligen Augustinus zu zitieren, in mir muss brennen, was ich in anderen entzünden möchte. Dieses Feuer dürfen wir nicht ausgehen lassen, sondern müssen überlegen, wie wir Menschen, Lieder und Orte miteinander verbinden. Ich bin sehr froh, dass ich an der Kreismusikschule Bamberg unterrichte und fühle mich von der Leitung sehr gut durch diese Krise geführt. Mit großem Engagement, enormen Kraftaufwand aller ist es uns bis jetzt gelungen, gut durch diese Zeit zu kommen und hat uns gezeigt, dass wir als Musiker ein großes Potential an kreativen Wegen suchen, um unseren wunderbaren Beruf ausüben zu können und unsere Schüler*innen für Musik zu begeistern. Dieses Vertrauen wünsche ich allen der Kulturbranche Bamberg.
Wie glauben Sie, wird die Szene aus dem Lockdown hervorgehen?
Martina Hümmer: Viele meiner freischaffenden Kolleg*innen stehen vor existentiellen Schwierigkeiten. Ich bin mir aber sicher, dass Kunst und Kultur immer überleben werden. Wie das für den einzelnen Künstler*innen aussieht, ist schwer zu beantworten. Man muss eben sehr kreative Wege finden und in solchen Zeiten auch flexibel sein. Für große Opernhäuser oder Symphonieorchester wird es sicher leichter sein, als für freiberufliche Musiker*innen. Krisen können auch immer Anlass zu Entwicklung und Chance auf Wachstum sein. Die Pandemie fordert von uns, neue und kreative Wege und Lösungen zu suchen. Kultur ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens. Konzerte und kulturelle Veranstaltungen werden auch weiterhin die Menschen erfreuen. Vielleicht wird Live-Musik dann noch mehr geschätzt als vorher.
Mit welchen Gefühlen haben Sie die Nachricht eines zweiten Lockdowns zur Kenntnis genommen?
Martina Hümmer: Als Künstlerin reflektiere ich diese Zeit und die Auswirkung auf unser aller Leben sehr eingehend. Kein Tag vergeht, an dem es nicht irgendwo eine Menschenkette oder einen Aufruf zur Rettung der Kultur gibt. Manche üben differenzierte Kritik an den Maßnahmen der Bundes- und Staatsregierung oder sehen sich zu Unrecht in ihrer Berufsausübung beschränkt. Andere sehen die Rolle der Kultur in der Gesellschaft grundsätzlich gefährdet oder wünschen sich gerechtere Verteilung von Geldern. Der zweite Lockdown war zu erwarten und ich hätte ihn angesichts der steigenden Zahlen schon früher vermutet. Was für den Einen „Lockdown light“ ist, bedeutet für uns Musiker*innen immer noch Berufsverbot. Das Kulturleben befindet sich wieder in einer Zwangspause und steht still. Ein kleines Virus zeigt uns, dass wir die Welt nicht so unter Kontrolle haben, wie wir das gerne hätten oder oft auch von uns erwartet wird.
Ich verpflichte mich als Künstlerin aber auch zu einer gewissen Verantwortung und Vorbildfunktion. Wir müssen lernen, unser eigenes Verhalten vor uns selbst und unserem Gewissen zu rechtfertigen. Und gerade als Künstler*in sollte man Menschlichkeit und Moral in sich tragen, sonst hat man auf der Bühne nichts zu sagen. Ich begreife Kultur als zutiefst humanistische, den Menschen dienende Verpflichtung, um Ludwig van Beethoven zu zitieren, und ich sehe es gerade jetzt als Pflicht an, das Wohl und die Gesundheit der Menschen in diesem Land als höchste Priorität zu begreifen. Menschen, die jetzt ihre eigenen Interessen und Egoismen zurücksetzen, kollegial und solidarisch gemäß der nötigen Vorgaben unter Beachtung von Vorsicht und Nächstenliebe die Würde eines jeden Menschenleben achten und mit ihrem Verhalten Leben retten, sind für mich die Helden dieser Zeit.
Wie wirkt sich der Lockdown auf Ihre Arbeit als Gesangslehrerin und Künstlerin aus?
Martina Hümmer: Dass ausgerechnet das Singen als älteste, am längsten praktizierte und natürlichste künstlerische Äußerung durch die Coronakrise zur – bisweilen sogar tödlichen – Gefahr wird, ist eine grausame geschichtliche Pointe, an der wir alle im Moment schwer zu tragen haben. Es ist sehr traurig, dass ich meiner Berufung derzeit nicht nachgehen kann und alle meine Konzerte, Opernaufführungen und Liederabende bis auf weiteres abgesagt wurden. Doch jetzt zu protestieren, wo es mit wenigen Ausnahmen absolut allen Menschen in Deutschland sehr schlecht geht, ist das wirklich sinnvoll? Für uns Berufssänger*innen sind die Perspektiven derzeit leider schlecht, denn die Infektionsgefährdung während des Singens durch Aerosole wird von Fachleuten als sehr hoch eingeschätzt.
Als Mitglied im Bundesverband Deutscher Gesangspädagogen bin ich mit vielen Kollegen*innen über aktuelle Studien im Austausch und informiert, wann und wie wir unseren Beruf wieder ausüben können. Als Sängerin ist man es gewöhnt, mit sich und seinem Instrument, dem eigenen Körper, zu arbeiten, aber natürlich fehlt die Bühne, denn als Künstler muss man sich künstlerisch ausdrücken, um sich lebendig zu spüren. Wir alle brauchen die reale Interaktion mit Menschen. Dabei meine ich aber keine Eventkultur, sondern eine Rückkehr zum tiefen, ursprünglichen und elementaren Verständnis von Kunst.
Sie geben derzeit Gesangsunterricht online. In welcher Hinsicht kann dieses Onlineangebot Präsenz-Gesangsunterricht nicht ersetzen?
Martina Hümmer: Ich betreue meine Schüler*innen via Video-Chat, der jedoch den üblichen Präsenzunterricht in keiner Weise ersetzen kann. Es freut mich jedoch trozdem ein wenig Gutes sowie positive Energie an weitergeben zu können. Es war nicht einfach, plötzlich onliner zu unterrichten, und es brauchte Zeit, dafür Wege zu finden, um die Begegnung mit den
Schüler*innen lebendig und eben auf meine Weise sinnstiftend zu gestalten. Ich habe aus dem Online-Unterricht aber durchaus Positives gewonnen. Die Schüler*innen reflektierten ihre eigene innere Einstellung beim Üben, die Schulung der Körperwahrnehmung, allgemeine Hintergründe zum Thema Lernen – diese Inhalte und auch die Tatsache, dass man die Aufgaben machen konnte, wann man wollte und sich dann darüber austauscht, haben definitiv einen Mehrwert für das Singen und das sängerische Selbstbewusstsein.
Trotz der guten Seiten des Online-Unterrichts ist Gesangsunterricht natürlich eine ganzheitliche Sache. Es ist besser, die Schüler*innen live zu spüren. Im Mittelpunkt meiner Arbeit als Künstlerin und Pädagogin steht der singende Mensch, in dem ich ein Höchstmaß an Authentizität und Ausdruck entzünden möchte, was jedoch aufgrund fehlender Einschätzung und Beurteilung von Klang sowie muskulärer Abläufe auf sozialer Distanz nicht so einfach ist, es kostet mehr Kraft. Jedoch können und sollten wir dringend die Möglichkeiten sehen und nicht nur die Grenzen. Dann kann Überraschendes und Bereicherndes geschehen.
Welchen Stellenwert hat Musik in Ihrem Leben?
Martina Hümmer: Als Sängerin ist es mein Beruf, mich mit Dingen zu befassen, die über das hinausgehen, was käuflich ist. Es ist meine Aufgabe, die menschlichen Bedürfnisse aufzudecken, die unter der Oberfläche liegen. Dafür ist Kunst da. Wir Künstler*innen öffnen Räume, die andere Menschen alleine meist gar nicht sehen oder zumindest nicht allein betreten können. Sowohl Konzertbesuchern als auch denjenigen, mit denen wir musikpädagogisch arbeiten, ermöglichen wir, mit deren eigenen inneren Welten in Berührung zu kommen. Wir Musiker*innen haben da einen unglaublich kostbaren Schatz. Wir tragen die Musik im Herzen. Meine Arbeit ist in dieser Hinsicht kein Job, sondern ein Grundbedürfnis, mein Leben.
Ich wünsche mir, die Welt wieder mit Gesang zu beseelen und zu bereichern sowie Menschen Hoffnung, Trost und Liebe durch die Musik zu schenken. Besonders Gesang macht die direkte Verständigung der Menschen und Herzen auf ästhetischer Ebene möglich, unabhängig von Herkunft, Religion oder Hautfarbe, und kann in Konfliktsituationen Brücken bauen, wo die Sprache an ihre Grenzen stößt. So ist Musik nicht nur eine musikalische, sondern auch eine hochsoziale Tätigkeit, identitätsstiftend und gemeinschaftsbildend. Musik ist eine Form des menschlichen Miteinanders und geht in ihrer Wahrhaftigkeit in unsere Herzen – das, was uns Menschen ausmacht, diese unsere gemeinsame Sprache der Menschheit.
Buchrezension
Markus Orths: Picknick im Dunkeln
Die Handlung des neuen Romans von Markus Orths, der schon die Bamberger Poetik-Professur innehatte, spielt komplett im Dunkeln, was an sich schon einmal ein Novum sein dürfte. Doch damit nicht genug. Der Autor lässt zwei Personen aufeinander los, die in der Realität gut 700 Jahre, und eine komplett verschiedene Weltanschauung, trennte, den Komiker Stan Laurel und den Philosophen Thomas von Aquin. Die beiden finden sich in einem dunklen Gang wieder, ohne zu wissen wie sie dort hingekommen sind. Die beiden unterschiedlichen Charaktere sind froh, nicht allein im Dunkeln zu sitzen und machen sich auf die Suche nach einer Erklärung und dem Sinn. Orths gelingt es grandios, zwei unterschiedliche Denkweisen aufeinander prallen zu lassen und die gegenseitige Beeinflussung der beiden Protagonisten zu skizzieren. Ein philosophischer, intelligenter Roman in einem durchdachten Setting. Sehr zu empfehlen.